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#Aus der Geschichte lernen

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„Aus der Geschichte lernen“

Der europäische Gipfel in Versailles hat eine große Chance vertan: am symbolischen Ort eine neue Nachkriegsordnung für Europa auf den Weg zu bringen. Wir sind keine Träumer und wissen, dass die Aufnahme in die Europäische Union kein Spaziergang ist und für die Ukraine im Prinzip dieselben Prozeduren gelten wie für die Beitrittskandidaten auf dem Balkan. Aber es bestand die Gelegenheit, eine politische Union zu begründen, die den Zeitraum zwischen einer sektoralen Assoziation und der Vollmitgliedschaft überbrückt. Stattdessen verfuhren die Staatschefs in Versailles prozedural, als gälten eingeübte EU-Regularien auch für den extremen Kriegsfall in Europa. Das Freiheits- und Friedensprojekt machte wieder der EU der Durchwurstler und Beamten Platz.

Die EU ist aber nicht mehr die Wirtschaftsunion der letzten Jahre, Putin hat sie ungewollt wieder zu dem normativen und institutionellen Bündnis ihrer Gründerjahre gemacht. Das sollte sie auch wieder werden, da es nun darum geht, nicht nur die Ukraine gegen die russische Aggression zu schützen, sondern auch den Schutz der Neumitglieder, vor allem im Baltikum, zu verstärken und alle jene Staaten in den Schutz einzubeziehen, die der EU beitreten wollen.

Geboten ist ein „erweitertes Weimarer Dreieck“, das vor allem dem regionalen und konzertierten Ausbau der sicherheitspolitischen Dimension innerhalb der EU Beachtung schenken würde. Deutschland, Frankreich, Polen und die baltischen Staaten müssen eine verstärkte sicherheitspolitische Kooperation eingehen, wenn nötig auch im Bereich der nuklearen Rüstung. Großbritannien muss wieder enger an die durch den Brexit leichtsinnig verspielte politische Schicksalsgemeinschaft Europas heranrücken. Ein verstärkter Schutz vor Russland bedeutet aber auch, dass den Trojanischen Pferden Putins, wie Orbáns Ungarn und Vučićs Serbien, entschlossener entgegengetreten werden sollte. Das wirft Fragen vor allem nach der Verbindlichkeit der EU-Mitgliedschaft Ungarns auf und nach dem Status von Serbien als EU-Kandidat.

Timothy Garton Ash ist Professor for European Studies an der Universität Oxford;


Timothy Garton Ash ist Professor for European Studies an der Universität Oxford;
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Bild: dpa

Besonderes Augenmerk verdient in diesem Zusammenhang Bosnien-Hercegovina. Dort schüren serbische Politiker in Banja Luka und Belgrad Spaltungstendenzen, die 30 Jahre nach dem Beginn des Krieges in Jugoslawien die fragile Konföderation zerbrechen und sogar einen neuen Krieg zwischen den Volksgruppen möglich erscheinen lassen. Die großserbischen Separatisten können sich der Unterstützung Putins sicher sein.

Daniel Cohn-Bendit war Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Europaparlament


Daniel Cohn-Bendit war Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Europaparlament
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Bild: Franz Bischof

Die Blaupause für derart schändliche Manöver hat Wladimir Putin vor unser aller Augen und Ohren seit 2008 in Georgien und 2013/14 in der Ukraine geliefert. Die EU hat sie hingenommen, Provokationen und Ankündigungen des Kreml ignoriert und den Spaltungs- und Austrittsabsichten von Gegnern der europäischen Einheit von Marine Le Pen bis Viktor Orbán zugeschaut. Während Putin seine Angriffsvorhaben minutiös vorbereitete, hat die Energieabhängigkeit Europas drastisch zugenommen und vor allem die deutsche Verteidigung umgekehrt proportional abgenommen. All dies wurde, nicht zuletzt in Deutschland, durch politische Akteure der ersten Reihe trotz eindeutiger Belege für den russischen Neoimperialismus aktiv gefördert. Daraus ergibt sich heute eine besondere Verpflichtung.

Ireneusz Paweł Karolewski ist Professor für Politische Theorie und Demokratieforschung an der Universität Leipzig


Ireneusz Paweł Karolewski ist Professor für Politische Theorie und Demokratieforschung an der Universität Leipzig
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Bild: privat

Die Europäer haben den Schuss nun gehört und stehen enger für die Verteidigung ihrer Werte und Institutionen zusammen. Gemeinsam haben sie Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine beschlossen, die das Leiden der Zivilbevölkerung kaum mindern können. So wie Sanktionen und Waffenlieferungen spätestens seit dem Aufmarsch der russischen Armee an den Grenzen 2021 hätten erfolgen müssen, darf man in Bosnien-Hercegovina nicht warten, bis es auch dort zu spät ist.

Claus Leggewie ist Ludwig-Börne-Professor an der Universität Gießen


Claus Leggewie ist Ludwig-Börne-Professor an der Universität Gießen
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Bild: Picture Alliance

Wir haben uns 1992 für ein entschlossenes Eintreten Europas für die belagerte Stadt Sarajewo ausgesprochen, vergeblich. Erst ein vollendeter Genozid löste dann eine verspätete Intervention aus, der keine stabile Friedensordnung auf dem Balkan folgte. Heute sollte die EU wachsamer sein und Bosnien-Hercegovina die klare Absicht erklären, das Land in eine Politische Union aufzunehmen, die den Beistand gegen eventuelle Provokationen und Aggressionen umfasst. Und ein Bündnis, das die serbischen Separatisten warnt und Kroatien wie Slowenien auf die Unterstützung der Föderation und auf die Mitwirkung an einer stabilen Nachkriegsordnung auf dem gesamten Balkan verpflichtet.

Der serbischen Regierung muss klar sein, dass ihre Option auf einen EU-Beitritt verfallen wird, wenn sie die prekäre Friedensordnung auf dem Balkan aufs Spiel setzt und im Windschatten des Ukrainekrieges Terrain gewinnen will. Putins Projekt der „russischen Welt“ hatte bekanntlich einen Vorläufer in Slobodan Miloševićs „serbischer Welt“, in welche die Volksgenossen in Bosnien und Montenegro ebenso heimgeführt werden sollten wie 2014 die ethnischen Russen im Donbass. Miloševićs Traum endete bekanntlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof.

Die Serben in Banja Luka und Belgrad müssen entscheiden, auf welche Seite sie gehören. Milorad Dodik hat sich den Sanktionen gegen Russland verweigert, in Belgrad gehen russische (und chinesische) Interessenten ein und aus. Ein klares Signal an Bosnien-Hercegovina wie an das NATO-Mitglied Montenegro würde zeigen, dass diese beiden Staaten zur demokratischen Welt gerechnet werden und in ein erweitertes Europa hineingehören. Die Bestrebungen, die Wahlgesetze und die Staatsverwaltung nicht länger am ethischen Proporz auszurichten, findet in der bosnischen Zivilgesellschaft vor allem unter den Jüngeren zunehmend Resonanz, denn der völkische Nationalismus bietet keine Chancen für Frieden und Wohlstand. Auf diese Weise könnte Putin unbeabsichtigt den politischen Zusammenhalt der Europäischen Union gestärkt haben.

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