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#„Glitch“-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne

Die Pinakothek der Moderne sucht nach Abweichungen von der Regel in der Kunst – und findet in deren Darstellung die Krisen der Gegenwart gespiegelt.

Unzählige Bücher voller Verbote als Auftakt, das erlebt man im Museum selten. Sie sind zwar geordnet in Vitrinen ausgelegt, in manchen darf man blättern, aber im Befehlston der Titel steckt schon der Wille zur schwarzen Pädagogik: „Knipse, aber richtig!“ Dass es eine Zeit gab, in der sich die Suche nach dem „perfekten Bild“ zur Fleißarbeit an der Kamera steigern konnte, ist zwar in der Epoche der triumphierenden KI kaum noch vorstellbar. Doch die pure Menge von Publikationen, die einst dabei helfen sollten, mögliche Fehler beim Fotografieren oder Entwickeln zu vermeiden, spricht für sich. Kreativität hatte diese Ratgeberliteratur nicht im Sinn. Schon deshalb muss sie gerade für Vorschriften verachtende Künstler und Künstlerinnen eine Quelle der Freude gewesen sein.

Mutwillig verursachten die Urheber Schlieren und Schleier wie in den Anfangszeiten der Fotografie, die mit ihren verwaschenen Aufnahmen die Bildstörungen der Avantgarden bereits vorwegnahm. Bei André Kertész reicht 1929 ein zersplittertes Fensterglas, um die Stadt dahinter in ein Puzzle disparater Teile zu verwandeln. Man Ray setzt im gleichen Jahr ein Fotopapier gänzlich dem Licht aus, entwickelt und klebt es auf einen Untersatzkarton. Eine surrealistische Hommage auf das „Schwarze Quadrat“? Germaine Krull zerstört mit einem Nebel aus Punkten die Perspektive auf ihre Impressionen aus Asien. In der deutschen Nachkriegszeit macht es Chargesheimer noch radikaler: Er bringt die Silbergelatineschicht seiner gläsernen Negativplatten zum Schmelzen und erreicht so den Effekt poetischer „Gelatinemalereien“.

Peter Weibel: „The Endless Sandwich“ (1970/1972)


Peter Weibel: „The Endless Sandwich“ (1970/1972)
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Bild: Nachlass Peter Weibel

Kuratorin Franziska Kunze spinnt den Faden des schöpferischen Pannenpotentials entlang des Begriffs „Glitch“. Aufgetaucht ist er in den Fünfzigerjahren im Fachjargon der Fernsehtechniker, um verzerrte Bilder zu benennen. Inzwischen steht er für Programmier- oder Grafikfehler bei Computerspielen und Fehlfunktionen bei Software jeder Art. Die multimediale Auswahl umfasst hundert Jahre, von der analogen Fotografie über Video- und Soundkunst bis zur Netzkunst. Im spannendsten Kapitel „Critical Disruptions“ firmiert das Stilmittel des vermeintlichen Kontrollverlusts als wachrüttelnder Blicklenker auf gesellschaftspolitische Missstände. Eine Videoprojektion von Sondra Perry hypnotisiert mit zwei tanzenden schwarzen Körpern in einem weißen Raum. Der Effekt der rasenden Selbstauslöschung wurde mit einem Photoshop-Tool erreicht, das die Umrisse geisterhaft erscheinen lässt. Ein Kommentar auf Tech-Machtsysteme, deren weiße Logik ins Wanken gebracht werden soll?

Jake Elwes fahndet mit „Zizi – Queering the Data Set“ nach Diskriminierung in der Datenverarbeitung von Künstlicher Intelligenz und fragt sich, was wohl passiert, wenn er Gesichter von Dragqueens in die Software einschmuggelt. Die auf diese Weise generierte Spezies erfindet das Menschsein zwar nicht neu, bringt aber das Genre des Fake-Porträts in ungeahnte Selbstdarstellungshöhen. Wenn irritierende Physis auf maximale digitale Manipulierbarkeit trifft, ist der Spieltrieb nicht weit. Sollte der Spaß an der Interaktion mit fehlerhaften Codes aber nicht längst vergangen sein? Die Ausstellung gibt dazu wenig Hoffnung. Nicht zufällig sind es zwei Japaner, die dagegensteuern. Schon wegen ihrer Herkunft aus einem von Naturkatastrophen und Nuklearunfällen heimgesuchten Land haben sie reichlich Erfahrung mit existenziellen Einschnitten. Dass sie diese auch außerhalb Japans suchen, erweist sich als Glücksfall, denn die Akzente, die sie setzen, zielen zur Abwechslung auf Bildlösungen ab, in denen die Gegenwartsmelancholie den Ton angibt.

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