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#Im Auf-Hören liegt der Gewinn von Freiheit

„Im Auf-Hören liegt der Gewinn von Freiheit“

„Die Lust hat eignes Grauen und alles hat den Tod“ kann man bei Joseph von Eichendorff lesen, und man kann dieses Ineinander von Lust und Grauen, von Schönheit und Tod unzählige Male in der Musik von Wolfgang Amadé Mozart hören. Nehmen wir das zweite Thema im Kopfsatz des Klavierkonzerts A-Dur KV 488, mit dem das Mozartfest Würzburg jetzt in sein 101. Jahr ging: Mozart gewinnt es aus den melodischen Qualitäten eines Dur-Dreiklangs mit hinzugefügter Sexte. Der Zauber dieses Klangs liegt in der dissonanten Reibung zwischen Quinte und Sexte und in der tonalen Ambivalenz. Er kann als Dur-Dreiklang mit Sexte fungieren, aber auch als umgekehrter Moll-Dreiklang mit hinzugefügter Septime. Genau dieses farbliche Changieren zwischen Dur und Moll und die erogene Dissonanz kostet Mozart im Formulieren des Themas aus. Die Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Andrew Manze geben diesem Thema, besonders im Verschmelzen von Flöten- und Klarinettentimbre, eine geradezu fruchtige Süße und Frische, die mit dem satt grundierten Perlen des Klavierklangs des Solisten Seon-Jin Cho sinnfällig korrespondiert.

Lust und Wehmut, Begehren und Todesbewusstsein, Sehnsucht und Melancholie – alles kommt hier zusammen. Es war der Komponist Pascal Auriat, der 1973 das Potential dieses Themas weiterentwickelte in einem der berühmtesten Chansons für Dalida, dessen Text von Lust und Grauen, vom Begehren einer Frau Mitte dreißig nach einem jüngeren Mann, von Paarung und Verlassenwerden, schonungslos direkt erzählt: „Er war gerade achtzehn Jahr.“ Und es gehört zu diesem geheimen französischen Beziehungszauber um Mozart, dass Ulrich Konrad, Würzburger Ordinarius für Musikwissenschaft und zugleich einer der führenden Mozartforscher der Welt, in seinen Essay „Mozart. Freigeist? Freier Geist“ zum diesjährigen Mozartfest mit Julien Offray de la Mettrie, dem französischen Theoretiker der Libertinage und Autor des Traktats „Die Kunst, die Wollust zu empfinden“ von 1750, einsteigt.

„Mozarts Freigeistigkeit in der Musik“ ereigne sich, so Konrad, „ausnahmslos in Anerkenntnis eines Regelsystems“. Don Giovanni, der Leben und Lieben ohne alle Ordnung suche, schicke Mozart am Ende in die Hölle. Und doch, so ließen sich Konrads Überlegungen weiterdenken, ist etwas Manipulatives in Mozarts Musik, der das Regelsystem häufig benutzt, um uns in Gefahrenzonen zu locken. Oft bietet Ordnung bei Mozart nur den Widerstand, um den Reiz der Grenzüberschreitung zu steigern. Konrad schreibt, es wäre ein Missverständnis, Mozart nur als Vergnügungskünstler zu sehen, aber liegt nicht das Abenteuerliche seines Genies darin, dass er, der Spielsüchtige, Gefährdung und Vergnügen, Sicherheitsgaukelei und Todesmut zusammenbringt?

Man sieht hier, am Zusammenspiel des Konzertprogramms mit dem Essay, was das Mozartfest Würzburg in der Intendanz von Evelyn Meining ausmacht: Intelligenz und sinnliches Erleben greifen mit eigener Evidenz inein­ander. Das Festivalmotto „Alles in einem: Freigeist Mozart“ wird sofort auf eine reflexive Ebene geholt, die alles bloß Redensartliche, Zeitgeistige oder rein Merkantile hinter sich lässt.

Nach der prächtigen Hundertjahrfeier im vergangenen Jahr, die noch einmal Vergegenwärtigung von Tradition und Vergewisserung des eigenen Auftrags bedeutete, soll es nun symbolhaft um die Zukunft gehen. Erstmals in der Geschichte des Mozartfestes ist nicht ein Interpret zum Schwerpunktkünstler, zum „artiste étoile“, gemacht worden, sondern eine Komponistin: Isabel Mundry. Acht Konzertprogramme hat sie selbst für das Mozartfest kuratiert. Ihre „Signaturen“ für zwei Klaviere, Schlagzeug und Streicher werden am 11. Juni als Auftragswerk im Kaisersaal der Residenz uraufgeführt werden.

Und schon im Eröffnungskonzert fügten sich ihre „Traces des moments“ für Klarinette, Akkordeon und Streichtrio ebenso sinnfällig zu Mozarts Klavierkonzert wie zum Festivalmotto vom „Freigeist“, obwohl diese Intention beim Schreiben vor zweiundzwanzig Jahren keine Rolle gespielt haben dürfte. Das dreisätzige Werk erzählt, so kann man es jedenfalls hören, die Geschichte einer Freiheitsgewinnung. Alles beginnt im ersten Satz mit einer zitternden Empfänglichkeit des Ich für die Welt, mit der auskomponierten Erfahrung des Ausgesetztseins an jäh wechselnde Impulse. Aktion ist hier Widerfahrnis, ein stetes Fortgerissenwerden durch die Wucht des Augenblicks. Dem antwortet der zweite Satz mit schwellend atmenden Haltetönen von Karl Rauer an der Klarinette und Teodoro Anzellotti am Akkordeon, eingebettet in einen Schutzraum der Streicher Theresa Jensen (Violine, Sarah Luisa Zrenner (Viola) und Ulrich Witteler (Violoncello). Es ist Musik des Innehaltens und der Fokussierung. Evelyn Meining hatte in ihrer Eröffnungsrede den Soziologen Hartmut Rosa zitiert mit dem Satz, dass Musikhören frei von Leistungsdruck sei und uns zum Auf-Hören bringe. Einen solchen Moment des Auf-Hörens hat Mundry hier festgehalten. Den dritten Satz ihrer „Spuren von Momenten“ kann man begreifen als Behauptung der im Auf-Hören gewonnen Souveränität inmitten erneuter Turbulenzen der äußeren Ereigniswelt. Es ist die Freiheit, sich zur Welt verhalten zu können, statt deren Imperativen folgen zu müssen. Das Hören hat sich aus der Wehrlosigkeit befreit zu einer Geistigkeit, die dem Augenblick reflexiv begegnet. Bis zum 19. Juni hat Würzburg mehr davon zu bieten: in Gesprächen, Vorträgen und immer neuen Begegnungen mit Mozart.

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