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#Berlin will Moskau gar nicht drängen

Berlin will Moskau gar nicht drängen

Henry Kissinger war es stets ein Dorn im Auge, dass Regierungsbürokratien dazu neigten, die Zusammenhänge zwischen komplexen weltpolitischen Angelegenheiten zu ignorieren. Aufhorchen ließ deshalb kürzlich Außenminister Maas, als er in die hitzige Nord-Stream-2-Debatte fast beiläufig einstreute, man dürfe „Russland nicht weiter in die Arme Chinas drängen“.

Der bedeutungsschwangere Satz war fast wortgleich schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2019 gefallen; geäußert hatte in damals Angela Merkel. Eine breite öffentliche Diskussion der strategischen Ausrichtung Deutschlands, in der die Bundesregierung ihre Auffassungen begründet und im Dialog verteidigt hätte, ist bisher jedoch ausgeblieben.

Die jüngste Ankündigung der bei der Kanzlerin in Ungnade gefallenen Verteidigungsministerin, in Zukunft parlamentarische „Sicherheitswochen“ abzuhalten, zielt auf dieses Manko. Diskussionsstoff gäbe es genug. In dem von Maas wiederholten Regierungmantra stecken vier Fehlannahmen.

Der Autor, Dr. Maximilian Terhalle, ist Gastprofessor am King’s College in London.


Der Autor, Dr. Maximilian Terhalle, ist Gastprofessor am King’s College in London.
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Bild: Privat

Erstens: Lässt sich Russland überhaupt von Deutschland „drängen“? Tatsächlich hat Putin seit der Jahrtausendwende das russische Unvermögen, sich in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Land sozioökonomisch zu reformieren, in die eigene Hand genommen und es mit alten KGB-Vertrauten wieder in seine reine Rohstoffexportnatur zurückversetzt. Seit 2003 ist das durch ihn militärisch schwerbewaffnete Russland überdies einseitig asiatisch geworden, im Bewusstsein, dass China weit länger fossil bleiben wird als Europa. Das war Putins souveräner und fester Wille. Mit Deutschland hat dies nichts zu tun. Und wenn hinzugefügt wird, man brauche Russland doch in Terror-, Nuklear- und Umweltfragen, dann braucht Russland die Gegenseite mindestens genauso sehr, wie auch China dies tut. Hier gibt es kein Drängen und keine Abhängigkeiten, nur realpolitische Gemeinsamkeiten.

Spinnt man den Faden der Bundesregierung zu Ende und glaubt, zweitens, Russland ließe sich gar aus der ungleichen Machtallianz mit China lösen, dann müsste man sich darüber klar werden, dass Putin von Europa eine Gegenleistung für sein (unwahrscheinliches) Ablassen von China fordern würde. Dass dieser Preis angesichts Moskaus revisionistischer Ambitionen tragbar wäre, ist fragwürdig. Ob die Idee somit eine „drängend“ gute wäre, darüber ließe sich mindestens streiten. Macrons gegenwärtiger Rückzug von seinen russischen Rapprochement-Ideen sollte hier zu denken geben.

Maas’ Warnung impliziert, drittens, dass ein weiterer Machtzuwachs Chinas für ungut gehalten wird, zumindest aber, dass China strategisch misstrauisch beurteilt wird. Aber das Gegenteil ist in der Realität der Fall. Deutschlands Handel mit China ist der stärkste in ganz Europa. Jeden Tag stützt wirtschaftliches Wachstum die Kommunistische Partei und trägt dazu bei, dass China sein Militär jedes Jahr in der Größenordnung der gesamten britischen Armee ausbauen kann. Der Widerspruch Amerikas in der Substanz – vier Jahre lang bequem in Berlin aufgrund des Rüpels im Weißen Haus ignoriert – ist durch den neuen amerikanischen Außenminister bereits formuliert worden. Amerikas Gretchenfrage (an den nächsten Bundeskanzler) wird also unweigerlich lauten: Warum sollen wir eure Sicherheit nuklear gegen Russland garantieren, wenn ihr mit unserem schärfsten Rivalen prächtig Geld verdienen wollt?

Und schließlich: Dass die Bundesregierung Moskau eigentlich gar nicht „drängen“ will, hat Putin sehr früh bereits daran erkennen können, dass sich Berlins heutiges Geschichtsbild – ganz ohne sein Zutun – weiter an den Ansichten der siebziger und achtziger Jahre orientiert. Noch immer, so registriert der Kreml es richtig, will Deutschland die „Versöhnung mit Russland vollenden“. Weder der Mordversuch an Nawalnyj noch die Kriegsverbrechen für Assad in Syrien noch die nukleare Aufrüstung noch die aggressive Militärdoktrin haben Deutschland davon abgebracht, versöhnen zu wollen – eine besondere deutsche Variante des Stockholm-Syndroms. Die kürzlich von Bundespräsident Steinmeier unterstrichene Sicht auf den Zweiten Weltkrieg, die er mindestens mit der Kanzlerin und einem ehemaligen Kanzler teilt, ist der zentrale Grund, warum Putin die Sanktionen gegen ihn seit 2014 nie für glaubwürdig gehalten hat. Sein militärischer Revisionismus ist deshalb auch nicht um einen Deut ungefährlicher geworden.

Jetzt rächt es sich, dass der Dialog mit Amerika während der schwierigen Trump-Jahre nicht realpolitisch geführt wurde. Denn dann verstünden jetzt mehr politisch Verantwortliche in Berlin die strategische Herausforderung für Deutschland und Europa durch China. Sie liegt in der strukturellen Schwächung des amerikanischen Schutzversprechens für Europa, weil China die Militärmacht Amerikas im Pazifik bindet. Im nicht mehr unwahrscheinlichen Kriegsfall in Asien böte sich die langersehnte Gelegenheit für Putin, Europas Landkarte in seinem Sinne zu revidieren. Wer kein „nützlicher Idiot“ sein will, müsste erkennen, dass der neue Zar nicht „gedrängt“ werden müsste, diese Chance zu nutzen.

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