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#Jazz ja, aber zollfrei sollte er sein

„Jazz ja, aber zollfrei sollte er sein“

Mit den Füßen wippen: Das kennt man vom Jazz. Für die Musiker wie die Hörer scheint es nichts Natürlicheres zu geben, als den Rhythmus sofort in die Glieder fahren zu lassen. Das stammt aus Afrika, wo Musik und Tanz einst nicht voneinander zu trennen waren. Wayne Shorter, der große Improvisator, Komponist und Jazz-Denker mit dem Saxophon, besaß seine eigenen Ansichten übers Fußwippen: Man solle es lassen; denn es gehöre in eine bestimmte Zeit, die Swing-Ära, und es behindere die Phantasie. Die Vorstellungskraft könne sich nicht entfalten, wenn man sich wie ein Metronom verhalte. Ähnliche Ansichten äußerte Wayne Shorter auch über Harmonien im Jazz und berief sich dabei auf den großen Charlie Parker, der beim Unterricht von besorgten Schülern gefragt wurde, ob man all diese komplexen Akkorde im Kopf haben müsse. Parker sagte: „Ja, an alle muss man sich erinnern, um sie danach wieder zu vergessen.“

Unvermutete Schluckaufs tauchen auf

Nichts charakterisiert den Künstler Wayne Shorter und seine Musik besser als die Skepsis gegenüber dem Taktmesser und dem Klammern an Akkordfortschreitungen. Aber es ist nur die eine Hälfte seiner Ästhetik. Die andere weiß um die emotionale Kraft, die in einem fortlaufenden Rhythmus steckt, und die formstiftende Funktion, die ein Harmoniekonzept bewirkt. Sonst hätte seine Musik seit den Tagen bei den Jazz Messengers von Art Blakey in den fünfziger Jahren, danach im zweiten Quintett von Miles Davis, vor allem aber dann in der Fusion-Band Weather Report mit dem Klangtüftler Joe Zawinul kein so großes Publikum angesprochen. Aber Shorter wäre nicht zu einem der einflussreichsten Jazzmusiker in den maßstabsetzenden Bands der vergangenen sechzig Jahre geworden, wären nicht ein paar unvermutete Schluckaufs in seinen Jazz-Phrasierungen aufgetaucht und hätten nicht unter seinen so eingängig wirkenden Melodien die Harmonien unaufhörlich gebrodelt, sich jedenfalls anders entwickelt, als es die Jazz-Pädagogik wahrhaben wollte und auch lehrte.

Das alles geschah freilich so subtil, so weit unterhalb der glänzenden Oberfläche, dass es zunächst nur den Musikern selbst auffiel. Miles Davis etwa, dem die unaufdringliche Kompetenz Wayne Shorters besonders gut gefiel. „Hier, Mr. Davis, ich habe ein paar neue Songs geschrieben“, pflegte Shorter dem rigorosen Guru mitzuteilen und sich ansonsten über die Kompositionen auszuschweigen. Miles hatte nie etwas daran auszusetzen oder zu verbessern. Die Stellung, die Shorter in diesem fabelhaften Quintett mit Miles Davis, Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams einnahm, war unangefochten. Er war Kopf und Katalysator der Band. In den Aufnahmen von „E.S.P.“ über „Nefertiti“ bis zu „In a Silent Way“ und „Bitches Brew“ zeigte sich Shorter als großer Komponist und hochorigineller Solist auf dem Tenor- und dem Sopransaxophon.

Der aberwitzige, bizarre, phantastische „Mr. Weird“

Dennoch blieb Shorter lange der scheue Mann im Hintergrund, ein Musiker für Musiker, der kein Aufhebens um sich machte. Erst nach 1990, als er Joni Mitchell, Steely Dan, Carlos Santana oder auch den Rolling Stones seine so klangfarbenreiche wie robuste Saxophonstimme lieh und mit eigenen Bands und seiner von ihm so genannten „duty free music“, Genregrenzen ignorierenden Klangsprache, unterwegs war, wurde klar, dass es kaum einen originelleren Komponisten und neben John Coltrane und Sonny Rollins keinen bedeutenderen Stilisten auf dem Tenorsaxophon seiner Zeit gab, der vom Bebop über Hardbop, Free Jazz, Fusion-Music alles mitgeprägt hat. Auf dem Sopransaxophon blieb er mit seiner Intonationssicherheit und seinem lyrisch-zurückhaltenden Tonfall ohnehin unerreicht.

Der kulturkritische Autor Amiri Baraka, gleichaltrig und ebenfalls aus Newark stammend, hat Wayne Shorters Kunst in den fünfziger Jahren schon hellsichtig als „weird“ bezeichnet. Das Beiwort findet sich wieder im Spitznamen, den man Wayne Shorter später gab und den er sich auf seinen Instrumentenkoffer schrieb: „Mr. Weird“. Aberwitzig, bizarr, phantastisch – vieles, was in dem Beiwort steckt, trifft auf die grandiose Musik von Wayne Shorter zu, der am Donnerstag, fast neunzigjährig, in Los Angeles gestorben ist.

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