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#Die Frau mit dem erdbeerroten Lippenstift

Die Ähnlichkeit der Figuren dieses Films mit lebenden Personen ist beabsichtigt. Maureen Kearney, die Heldin, leitet die Sektion der größten französischen In­dus­trie­ge­werk­schaft CFDT bei dem staatseigenen Nuklearkonzern Areva. Im Sommer 2012 vertraute ihr ein Informant Hinweise auf einen Geheimvertrag zwischen Areva und der chinesischen Atomindustrie an, der einen umfassenden Technologietransfer nach China als Ge­gen­leis­tung für die Übernahme von Un­ter­neh­mens­schul­den vorsah.

Nachdem sie mit ihren Versuchen, den Deal zu verhindern, bis zum neu gewählten Staatspräsidenten Hollande vorgedrungen war, bekam Kearney anonyme Drohanrufe. Am 17. Dezember 2012 wurde sie in ihrem Haus von mehreren Angreifern überfallen. Sie zogen ihr eine Mütze über den Kopf, fesselten sie mit Klebeband an einen Stuhl, ritzten ihr ein „A“ in die Bauchdecke und penetrierten sie mit dem Heft eines Dolches.

Kurz darauf begann eine Untersuchung, in deren Verlauf Kear­ney wegen Verdachts auf Vortäuschung einer Straftat unter polizeiliche Überwachung gestellt wurde. Im Mai 2017 verurteilte sie ein Kriminalgericht in Versailles zu fünftausend Euro Geldstrafe und fünf Monaten Gefängnis auf Bewährung.

In „Die Gewerkschafterin“ spielt Isabelle Huppert Maureen Kearney. Wobei nicht ganz klar ist, was „spielen“ in Jean-Paul Salomés Film eigentlich bedeutet. Denn Huppert hat sich die äußere Erscheinung Kearneys mit den vorn zu einen Pony geschnittenen, hinten zu einem Dutt verknoteten blond gefärbten Haaren, den studienrätlichen dunklen Hornbrillen und dem breiten, erdbeerrot geschminkten Mund so perfekt angeeignet, dass man eher von einer Verdoppelung reden muss, einer lebenden Kopie. Zugleich stimmt sie das Ausdrucksvolumen ihrer Figur auf ein Minimum herunter. Ihre eingefrorenen Zü­ge entspannen sich selbst dann nicht, wenn sie mit ihrem Ehemann, den Grégory Gadebois als resignierte gute Seele gibt, auf dem Sofa liegt.

Dafür hinterlassen auch Schmerz und Angst keine Spuren in ihrem Gesicht. Die Erstarrung erreicht ih­ren Höhepunkt an jenem 17. Dezember, mit dem der Film beginnt. Als die Gewerkschafterin von ihrer Hausangestellten ge­fun­den wird, gleicht ihr Aussehen dem ei­ner Toten. Der Lippenstift, den sie nach der ärztlichen Untersuchung aufträgt, ist das erste Lebenszeichen und der Beginn einer Nervenschlacht. In Paul Verhoevens „Elle“ hat Isabelle Huppert eine Frau ge­spielt, die ihre Vergewaltigung vertuscht; hier kämpft sie darum, dass die Vertuschung des Verbrechens aufhört.

Der Kampf gegen die Männermacht der Apparate

„Wenn man das Aussehen einer Figur gefunden hat, ist der Rest ein Selbstläufer.“ Das könnte stimmen, wenn Hupperts kalte Meisterschaft von einer ebenso meisterlichen Regie unterstützt würde, etwa so wie in „Geheime Staatsaffären“, in dem sie vor fünfzehn Jahren für Claude Chabrol eine hinreißend ungerührte Untersuchungsrichterin gespielt hat. Aber Jean-Paul Sa­lo­mé ist kein Könner wie Chabrol. Statt seine Inszenierung auf den Ton einzustimmen, den seine Hauptdarstellerin vorgibt, erzählt er die Geschichte mal als staatskapitalistischen Industriekrimi, mal als Fa­mi­lien­drama und verliert da­bei die Essenz des Stoffs, den Kampf Maureen Kearneys gegen die Männermacht der Apparate, immer wieder aus den Au­gen.

Deshalb nimmt „Die Gewerkschafterin“ auch nicht Fahrt auf, je mehr der Druck der Behörden auf Kearney steigt, sondern verliert im Gegenteil an En­er­gie. Der Skandal, dass die Polizei Beweismittel verschlampte, Zeugenaussagen nicht ar­chi­vierte und Kearneys Hausangestellter einzureden versuchte, sie habe ihrer Ar­beitgeberin geholfen, das Verbrechen zu simulieren, wird nicht zugespitzt, sondern weichgezeichnet. Man möchte nicht sa­gen: vertuscht. Aber Ungeschick ist auch ei­ne Form von Ungerechtigkeit. Maureen Kearney hat ihre Verkörperung durch Isabelle Huppert übrigens sehr gefallen. Nur sei, hat sie erklärt, in Wirklichkeit alles noch viel schlimmer gewesen.

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