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#Corona-Brandrede: Merkel im gebrechlichen Deutschland

Corona-Brandrede: Merkel im gebrechlichen Deutschland

Der wichtigste Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie, sagte Angela Merkel in ihrer Rede vor dem Bundestag, seien nicht Verbote, Schließungen, Beschränkungen und Kontrollen. Es sei das verantwortliche Handeln jedes Einzelnen. Die große Mehrheit der Bevölkerung habe diese Verantwortung gezeigt, so die Bundeskanzlerin, sie nehme Rücksicht und wolle „mitziehen“. Die Beobachtung ist richtig. Und doch verhalten sich die Dinge in der Praxis ganz anders, fast umgekehrt.

Der wichtigste Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie sind offenbar doch die Verbote, die Beschränkungen und deren jeweilige Kontrolle, oder, anders gesagt: das verantwortliche Handeln des Staates. Bundesland nach Bundesland besinnt sich derzeit reumütig auf diese Einsicht zurück und damit auf die Maßnahmen, die das Frühjahr brachte und die danach als übertrieben, als panisch oder zu pauschal bezeichnet wurden. Das Jahr wird wahrscheinlich aber so pauschal und so „panisch“ enden, wie es begonnen hat.

Es klingt angesichts der Entwicklung der Pandemie nur zu vernünftig, was Merkel am Ende ihrer Rede beschwörend in Richtung der Länder sagte. Geschlossene Schulen, geschlossene Geschäfte, geschlossene Hotels, keine Familienfeiern – die Bundeskanzlerin ließ nur wenig Zweifel daran, dass sie sich all das nicht erst für die Zeit nach Weihnachten wünscht, sondern schon jetzt, sofort. Aber da appellierte sie doch wieder an die Verantwortung jedes Einzelnen. Wer nicht aufpasse, sagte Merkel mit großer Eindringlichkeit, der verbringe vielleicht das letzte Weihnachten mit seinen Großeltern.

Kapitulation vor den Grenzen des Staates?

Ist das die Kapitulation vor den Grenzen des Staates? Der deutsche Staat handele anders als Diktaturen, sagte Merkel, nachdem sie ein Panorama weltweiter wirtschaftlicher Folgen der Pandemie beschrieben hatte. Die Bilanz fällt für Asien sensationell aus und für Europa wenig schmeichelhaft. Es ist nicht nur die Abgrenzung zur Diktatur, die Bund und Länder so zögerlich handeln lässt. Es ist ausgerechnet die Rücksicht auf wirtschaftliche und fiskalische Möglichkeiten. So kommt die Methode erst zustande, die als „scheibchenweise“ kritisiert wird, als zermürbendes Einerseits und Andererseits.

Diese Methode haben alle „westlichen“ Staaten mit unterschiedlicher Härte angewandt. Sie war nicht wirklich erfolgreich, besser gesagt: Die Pandemie fühlt sich mit ihr ganz wohl. Die Wirtschaft leidet, die Krankenhäuser leiden, die Bevölkerung leidet, der Staat leidet, nur das Virus leidet nicht allzu sehr. Andere Erdteile mögen nur deshalb besser dastehen, weil ihre Bevölkerung sehr viel jünger und damit nicht so anfällig ist.

Andere Staaten sind erfolgreicher

Einige Staaten wie die asiatischen sind aber auch deshalb erfolgreicher, weil sie einfallsreicher, nicht mit Tabus beladen und konsequenter sind. Es ist deshalb müßig, in Deutschland einen wirklich „harten“ Lockdown zu fordern, dem dann das große Aufatmen folgen könnte – so hart wie in diesen „jungen“ Staaten, die das Virus auch ohne Impfung „besiegten“, könnte dieser Lockdown nie sein. Nicht einmal eine Debatte darüber – Stichwort Corona-App – wagen hiesige Politiker, geschweige denn Entscheidungen. Eher werden Ressentiments bedient, „der Asiate“ sei eben irgendwie zum Untertan geboren.




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Über weite Strecken war der Rede Merkels das Leiden an diesem Widerspruch anzumerken: hier die naturwissenschaftliche Einsicht und das Ethos der Aufklärung („ich glaube an die Kraft der Aufklärung“) und dort das Schicksal, der Pandemie nicht wirklich Herr werden zu können.

Die Strategie von Bund und Ländern bietet aufgrund dieser Inkonsequenz nicht viel mehr als ein stetes Auf und Ab der Ansteckungsgefahr rund um einen Inzidenzwert, der ebenso Verhandlungsmasse ist wie alle anderen Schritte in Richtung Lockerung oder Verschärfung. Ein anderes Vorgehen, gar eine „Langzeitstrategie“, wie sie nun auch in den Regierungsfraktionen gefordert wird, ist nicht in Sicht, sieht man von „Strategen“ ab, die mit Darwin auf einer eingebildeten Grippewelle surfen.

Mit Blick auf erfolgreichere Staaten liegt der Schluss nahe, dass europäische Gesellschaften überfordert sind und mit dieser Art von Pandemie nur mit einem Impfstoff fertig werden. Das Licht am Ende des Tunnels, das Merkel sah, beruhte nicht auf der Kreativität der Politik, sondern auf der Kreativität der Forscher, die den Impfstoff fast schon herbeigezaubert haben. Das Licht verringert aber nicht, sondern erhöht die Erwartungen und Ansprüche an den Staat und strapaziert noch einmal das Vertrauen in die Verantwortung jedes Einzelnen. Nicht das Frühjahr war die schwierigste Zeit der Pandemie, es werden die kommenden Monate sein, in denen das Auf und Ab als noch anstrengender empfunden werden wird.

Für Merkel muss es ein beklemmendes Gefühl sein, dass ihre mutmaßlich letzte Amtszeit eine Baustelle hinterlässt, die zu groß ist, um sie wirklich überblicken zu können. Die Pandemie legt dadurch den Blick frei auf eine zerbrechliche Gesellschaft. Das ist sie aber nicht nur, weil sie so leistungsfähig und hochentwickelt wäre. Zerbrechlich ist sie auch, weil sie so gebrechlich geworden ist.

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