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#Darwin hatte die Ameisen noch nicht auf der Rechnung

Darwin hatte die Ameisen noch nicht auf der Rechnung

Viele, die sich so leidenschaftlich wie Edward O. Wilson in der Natur bewegen, um von ihr etwas über das Leben zu lernen, hatten wahrscheinlich mal ihre Ameisenphase. Bei ihm hörte sie nie auf. Und auch das Lernen über uns Menschen nicht.

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Anfang der Zweitausenderjahre, als sich die ganze Welt über das menschliche Genom beugte, um daraus etwas für das Leben der Menschen und seine tiefsten evolutionären Geheimnisse zu lernen, da begegneten wir diesem Ameisenforscher im zoologischen Museum der Harvard-Universität, wie er völlig unaufgewühlt von den genetischen Revolutionen in sich und seiner Ameisenleidenschaft ruhte. Verspielt piesackte er mit einem Stöckchen die Wachsoldaten einer neuweltlichen Ameisenkolonie, die er in einem Plastikcontainer hielt und die Teil einer taxonomischen Gesamtbetrachtung aller 625 Arten dieser Gattung werden sollten. Der „Supersoldat“, den Wilson schikanierte und hörbar bewunderte, war winzig, mit seinem überdimensionierten Kopfschild sah er aber aus wie einem mächtigen Kinosuperschurken nachgebildet. Wenn er wollte, konnte er in jeder Ameise ein Stück menschlicher Kultur finden. Und genau das tat er im Laufe seines Lebens immer hingebungsvoller: den Menschen im Tier entdecken.

Pulitzer-Preis für ein Gemeinschaftswerk

Der Supersoldat war Wilsons jüngste wissenschaftliche Entdeckung. Eine von Tausenden. Viele finden sich in dem bis heute unerreichten Standardwerk „The Ants“, für das er zusammen mit dem Würzburger Verhaltensforscher Bert Hölldobler in den Neunzigerjahren den Pulitzer-Preis – den zweiten bereits – erhalten hatte. Solange er sich mit Ameisen beschäftigte, also von seiner frühen Kindheit während der Dreißiger- und Vierzigerjahre im amerikanischen Bundesstaat Alabama bis zum Ende seiner Harvard-Professur, die fast ein halbes Jahrhundert lang dauerte, war das wissenschaftlich wie erzählerisch eine runde Sache. Nur Wilson dachte, ähnlich wie vor ihm Konrad Lorenz, gar nicht daran, seine intimen empirischen Kenntnisse über das Sozialverhalten von Tieren evolutionär isoliert zu betrachten.

Nachdem er in den Fünfziger- bis in die Siebzigerjahre die Kommunikation in den Insektenkolonien studierte und wegen seiner gemeinsam mit Robert MacArthur auf Neu-Guinea entwickelten Inseltheorie zur Verteilung von Arten auch als Biogeograph schnell berühmt geworden war, forderte er in den Siebzigerjahren mit zwei Werken zur Soziobiologie wie kein anderer die geisteswissenschaftliche Welt heraus. Das etwas später auf Deutsch erschienene Buch „Biologie als Schicksal. Die soziobiologischen Grundlagen des menschlichen Verhaltens“ war damals für viele als der szientistische Versuch von Biologen gesehen – und von Vorstößen durch weitere Protagonisten auf dem Feld unterstrichen worden –, die Natur des Menschen allein auf seine biologischen Merkmale zu reduzieren. Das gerade angebrochene molekulare Zeitalter hat diese Kluft noch vertieft. Wilson wurde dafür auf offener Bühne attackiert, gedemütigt und an seiner Heimatuniversität einmal mit einem Eimer Eiswasser übergossen.

Distanzierung von der Anwendung

Von den weitreichenden Ausdeutungen seiner Thesen, die wie der Sozialdarwinismus davor in die Nähe von Rassismus gerückt und die er deshalb als wissenschaftlich missbraucht und disqualifiziert sah, distanzierte er sich später. Nicht aber von seiner sozial-evolutionären Weltsicht – davon, dass der Mensch ein Teil der Naturgeschichte ist, mit all den Fortschritten und Bosheiten, die sich immer wieder durchsetzen. Fortan konzentrierte er sich in diversen Sachbüchern auf zwei wesentliche Arbeitsgebiete: Mit dem ersten, seiner wissenschaftlichen und evolutionären Hauptthese, versuchte er nachzuweisen, dass bei vielen Organismen und erst recht beim Menschen keineswegs Gene (das „egoistische Gen“) der Motor der Entwicklung sind, sondern die soziale Selektion – hochgradig organisierte, vernetzte Einheiten erweisen sich als überlegenes Geschäftsmodell der Evolution. Wilson hörte nicht auf, dem Menschen den Biologenspiegel vorzuhalten.

Mit seinem zweiten Aufgabengebiet schließlich wollte er alldem, den organismischen Errungenschaften der Naturgeschichte, überhaupt eine Zukunft schenken. Wilsons ultimative Mission der letzten Jahrzehnte war die Rettung der Artenvielfalt. Als ein Wegbereiter des Begriffs „Biodiversität“ hat er mehrfach versucht, den Artenreichtum auf dem Planeten zu katalogisieren, ein Unternehmen, das er in seiner Stiftungsarbeit fortgeführt hat und das noch Generationen in Anspruch nehmen dürfte.

Viele dieser Arten wird die Nachwelt kaum noch finden, sollte Wilsons daraus abgeleitetes Ziel, die Artenvielfalt zu erhalten, endgültig scheitern. Seine vor wenigen Jahren formulierte Idee, die Hälfte der Erde zu diesem Zweck kurzerhand als Reservate unter Schutz zu stellen, wird seither umweltpolitisch zerredet. Noch ist Wilsons Arche leider nicht seetüchtig. Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist ihr Gründer und Crafoord-Preisträger, E. O. Wilson, im Alter von 92 Jahren gestorben.

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