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#Fass mich bitte (nicht) an

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Fass mich bitte (nicht) an

Erinnert sich noch jemand an den foot shake? Im Frühjahr 2020 sah man auf den Straßen und öfter noch im Internet Leute, die zum Gruß ihre meist beschuhten Füße mit den Innenseiten aneinanderstießen. Meist wirkte das wie eine missverstandene Polka. Sie starrten nach unten, um den Fuß des anderen nicht zu verfehlen, und bemühten sich, auf einem Bein stehend, um Gleichgewicht. Kein Wunder also, dass sich das nicht durchgesetzt hat. Üblicher ist es dagegen geworden, einen Ellbogen zu zücken und gegen den des Gegenübers zu bumpen. Und seitdem nicht mehr nur Hip-Hopper, Sportler oder Barack Obama freundlich ihre Faust ausstrecken, ist auch die „Ghettofaust“ zum Mainstream geworden. Weniger cool, dafür sehr herzenswarm, ist eine sanfte Kopfverbeugung, bei der die Hände auf Brusthöhe aneinandergelegt werden: Namasté.

Novina Göhlsdorf

Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Die Vorlage, einander jenseits des sogenannten eigenen Haushalts nicht mehr zu berühren und aufs Händeschütteln, auf Wangenküsschen und Umarmungen zu verzichten, hat uns kreativ und aneignungsfreudig gemacht. Trotzdem erzeugte die Unverfügbarkeit gewohnter Repertoires sonderbare Situationen. Wich man auf eine der in der Pandemie geborenen oder hervorgekramten Alternativen aus, war das oft ungelenk. Aber in diesen Augenblicken verhinderter Berührung versuchten alle Beteiligten, die Beschränkungen möglichst würdevoll zu umschiffen. Man schien sich einig darin, dass man sich näherkäme, wenn man nur dürfte. Regeln siegten über Normen.

Über neuartige Verunsicherungen

Mittlerweile ist die Lage jedoch komplizierter. Manche sind vollständig geimpft, andere genesen. Aufgrund der in Deutschland gesunkenen Inzidenzzahlen scheint es nicht mehr so gefährlich, sich einander wieder anzunähern. Das führt zu neuartigen Verunsicherungen. Trifft man auf Freunde, breiten einige von ihnen die Arme aus, steuern einen ungebremst an. Unversehens ist man umarmt worden, haben sich Lippen oder Wangen auf Wangen gedrückt. Geht eine Seite nicht derart zielstrebig vor, entstehen bisweilen unbehagliche Szenen, in denen beide zaudernd und wenig grazil voreinander herumtänzeln. Nach der dritten Welle ist ungewisser als während der ersten, wer was noch will oder schon darf. Die Regeln sind aufgeweicht, alte Normen walten wieder stärker, haben aber an Eindeutigkeit verloren.

Plötzlich lässt sich ahnen, dass die eigene Berührungsscheu als unhöfliche Abweisung empfunden werden kann – wie vor der Pandemie. Doch wie gültig sind solche Höflichkeitserwartungen noch? Und werden wir uns je wieder unbefangen die Hände schütteln oder umarmen, ganz ohne Angst vor dem Atem des Gegenübers und dem unsichtbaren Milieu auf dessen Handinnenflächen? Die zum Infektionsschutz installierte „Ordnung der Berührung“, wie sie die Soziologin Gesa Lindemann nennt, hat sich in Körper eingeschrieben. Lindemann erwartet, dass auch künftig Personen außerhalb des familiären Kreises als Bedrohung wahrgenommen und auf Distanz gehalten werden.

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Vielleicht aber geht die jetzige Unsicherheit nicht bloß auf gesundheitliche Gefahrenabwägungen zurück. Das Virus-Wissen hat das Bewusstsein für den Ablauf von Begrüßungs- und Abschiedsritualen erhöht, für den darin enthaltenen physischen Kontakt. Der fällt nun auf, nicht nur als einer, der eventuell krank macht, sondern auch als einer, für oder gegen den man sich entscheiden kann. Als einer, den man womöglich gar nicht schätzt. Manche empfanden schon vor der Pandemie gerade den ritualisierten und damit vielen so selbstverständlichen Körperkontakt als Zumutung und das Covid-bedingte Hygieneregime daher als befreiend. Das gilt nicht allein für Harald Schmidt, der kürzlich im Video-Gespräch mit der F.A.Z sagte: „Kein Händedruck, keine Umarmung, kein Küsschen rechts und links. Endlich tut die Regierung was für mich.“ Ein Freund, der von Berufs wegen ständig Hände schütteln musste, befürchtet die Wiederkehr des hand shakes, weil er diese vorgeschriebene Nähe zu Fremden nie mochte. Eine Freundin ist froh, anderthalb Jahre lang keine mehr oder minder luftigen Küsschen mehr verpasst bekommen zu haben.

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