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#Das Begehren ist eine bewusstseinserweiternde Droge

„Das Begehren ist eine bewusstseinserweiternde Droge“

Ulrike Ottinger wird achtzig an diesem Pfingstmontag – aber wer diesen Geburtstag zum Anlass nähme, schon einmal eine Bilanz zu ziehen und zurückzuschauen auf ein Werk, das sich womöglich gerundet hat, der wäre bei dieser Künstlerin an der falschen Adresse. Sie ist mit Ausstellungen, Symposien, Filmvorführungen viel zu beschäftigt, als dass sie die Zeit hätte, übers Aufhören nachzudenken.

Wie sie angefangen hat, daran hat sie sich selbst und ihr Publikum vor drei Jahren erinnert mit dem Film „Paris Calligrammes“, der für die Kenner und Bewunderer ihres Frühwerks extrem verstörend war, auf den ersten Blick jedenfalls. Denn sie, von der man doch immer Provokationen, Schwerverständlichkeit und die Erschütterung aller sexuellen und ästhetischen Gewissheiten erwarten durfte, schilderte hier verständlich, fast schon brav und mit einer lehrerinnenhaften Geduld, wie sie 1962 nach Paris gekommen, dort sieben Jahre lang geblieben und dabei zur Künstlerin geworden war. Ulrike Ottinger begegnete den Menschen, die man kennen musste, sie war dabei im Mai 1968 – und man glaubt ihr sofort, dass sie damals schon verstand, dass es nicht Sinn der Revolte sein konnte, ein kommunistisches System zu erreichen. Der Sinn der Revolte war die Schönheit der Revolte.

Lust auf Kunst

Sie habe, erzählte sie, kaum angekommen, einen ästhetischen Überschwang gespürt, die Lust, alles Erlebte in Kunst zu verwandeln. Und als sie dann mit ihren Bildern im Stil der französischen Pop-Art die ersten Ausstellungen bekam, legte sie dazu in den Galerien ihre liebsten Platten auf und breitete ihre wichtigsten Bücher aus. Die Welt zu verändern hieß schon damals: sie zu verzaubern.

Für Louis Althusser und Pierre Bourdieu habe sie sich begeistert, berichtet sie – eine Aussage, die ihre Widersprüchlichkeit und Unvereinbarkeit in dem Moment abschüttelt, da man begreift, dass auch Theorie für sie immer nur ein Zwischenschritt zu einer ästhetischen Praxis war, die aus den Widersprüchen ihre Kraft bezog.

Ulrike Ottinger, 2019


Ulrike Ottinger, 2019
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Bild: RealFictionFilme

Dass sie die Kamera als Werkzeug entdeckte, lag in der Logik dieses Schaffens, das immer Weltentdeckung und Zauberforschung war. Avantgarde im Kino heißt ja nicht unbedingt, dass die allerneuesten Tricks und Techniken sich entfalten dürfen. Avantgarde heißt auch, dass jemand ganz neu anfängt und so filmt, als wäre diese Technik gerade erst erfunden worden: ein Wunder, dass die Bilder sich bewegen, ein Zauber, dass man sie auf eine Leinwand projizieren kann.

Sagt man dazu queer?

Und genau so filmte sie die exzentrischen Geschichten, die eigensinnigen Figuren, ihre wunderbaren Protagonistinnen, die Tabea Blumenschein und Magdalena Montezuma hießen: kaum Schwenks, kaum Fahrten; mit einer ruhigen Kamera, die der Inszenierung die Freiheit lässt, sich einfach zu ereignen.

Was sich da ereignet, heißt heute queer; aber bei Ulrike Ottinger, in Filmen wie „Madame X“, „Bildnis einer Trinkerin“ oder „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“ geht es nicht um Repräsentation, sondern ums reine Gegenteil. Um Präsenz. Und um das Recht, nicht dazugehören zu müssen, sondern anders, extravagant, fetischistisch, schamlos, komplett verrückt zu sein. Manchmal sieht es so aus, als rechne Ulrike Ottinger auch das Begehren zu den bewusstseinserweiternden Drogen – und ihre Filme wären Dokumentationen über deren Wirkung.

Und wahrscheinlich ist es das, was die Künstlerin Ulrike Ottinger so jung erhalten hat: dass die Verzauberung der Welt niemals abgeschlossen ist. Weitermachen, weiterzaubern.

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