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#Das deutsche Herz ist ein gewaltiger Schlund

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Das deutsche Herz ist ein gewaltiger Schlund

Vermutlich liebt es keine Nation so sehr, sich in den Augen anderer zu bespiegeln, wie die Deutschen. Geht es ihnen darum, in Erfahrung zu bringen, ob die Welt nicht doch noch ein Gran Sympathie für sie empfindet – oder zumindest einmal empfand? Dies wäre ebenso narzisstisch wie nachvollziehbar. Aber auch die Konfrontation mit kritischen Fremdbildern ließe sich in alltagspsychologischer Hinsicht erklären, nämlich als Möglichkeit der Selbstdistanzierung: Da seht ihr es, diese Deutschen, ich hab’s immer gesagt!

Der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe bereiste Deutschland zwischen 1926 und 1936 insgesamt sechsmal, und er schrieb über diese Aufenthalte ausführlich, in Tagebüchern, Briefen, Artikeln und Erzählungen, die nun gesammelt in einer vorbildlich kommentierten Edition vorliegen. Die verlagsseitige Bewerbung der Dokumente als Ausdruck einer „akuten Germanophilie“ Wolfes, die Rede von Deutschland als seinem „Sehnsuchtsland“, ist aber so vereinfachend, dass sie eigentlich schon falsch ist. Eher gewinnt man bei der Lektüre des Buches den Eindruck eines komplizierten, ja toxischen Verhältnisses, das von Faszination und Liebe genauso wie von Abstoßung und Grauen geprägt ist. Und kein literarisches Mittel wäre besser dazu geeignet, diese abgründige Widersprüchlichkeit zur Darstellung zu bringen, als die Groteske.

Thomas Wolfe: „Eine Deutschlandreise in sechs Etappen“.


Thomas Wolfe: „Eine Deutschlandreise in sechs Etappen“.
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Bild: Manesse Verlag

Am deutlichsten wird dies in Wolfes Schilderungen des Münchner Oktoberfests, dessen Besuch im Jahr 1928 ihn erkennen lässt, dass das „wahre Herz“ der Deutschen nicht das Herz der „Dichter und Denker“, sondern ein „gewaltiger Schlund“ ist. Er beschreibt die Szenerie in expressionistischen Bildern: „Sie“ – die Oktoberfestbesucher – „essen und trinken und schnauben sich in einen Zustand tierischer Betäubung hinein – die Stätte verwandelt sich in ein einziges heulendes, brüllendes Tier, und wenn die Kapelle eines ihrer Trinklieder spielt, erhebt man sich überall von den Tischen, stellt sich auf die Stühle und schunkelt mit untergehakten Armen hin und her, in pulsierenden Ringen. Von diesen schwerfällig hin und her wogenden Reihen in der riesigen, rauchigen Bierhölle geht etwas Unheimliches – etwas Übernatürliches aus. Man meint in diesen Reihen die Magie, die Essenz des Volkes zu spüren – das Wesen dieses Tieres, das es so grundlegend von den anderen Tieren ein paar Meilen jenseits der Grenze unterscheidet.“ Die Überblendung von Menschlichem und Tierischem zu etwas Monströsem und Metaphysischem – Wolfes grelle Darstellung entspricht mustergültig der Definition des Grotesken.

Zurückweisung des Nazitums

Aber warum die Deutschen nicht einfach Deutsche sein lassen und so schnell wie möglich ins Helle, Offene, also in die amerikanische Heimat fliehen? Es ist wohl vor allem die „ungeheure Schönheit“ der Landschaften, die Wolfe immer wieder ins Mystische und Zauberhafte überhöht (besonders nachdrücklich in der Erzählung „Dunkel im Walde, seltsam wie Zeit“), wie auch der „über Jahrhunderte aufgehäufte Reichtum“ an Geschichte und Kultur (der für ihn allerdings in unerklärlichem Widerspruch steht zur „rohen, bierseligen Menge“). Aber noch ein anderer, interessanterer Aspekt kommt hinzu: Die Reisen nach und durch Deutschland bedeuten für Wolfe ein rätselhaftes „Wiedererkennen“, das er auf seine familiäre Herkunft bezieht – väterlicherseits gibt es eine deutsche Abstammung, die allerdings zwei Jahrhunderte zurückreicht. Die im Ganzen acht Monate umfassenden Aufenthalte in Deutschland werden damit, wie der Herausgeber des Bandes, Oliver Lubrich, in einem sehr aufschlussreichen Nachwort darlegt, „zu einer Expedition ins Unbewusste“, zu einer Konfrontation mit der „überwunden geglaubten Primitivität archaischer Vorzeit“. Sigmund Freud steht Pate für diese aufregende Interpretation.

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