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#Das Gespenst des großen Führers

„Das Gespenst des großen Führers“

Zwischen einer roten Plastikrutsche und der Statue eines sowjetischen Soldaten auf giftgrün gestrichenem Sockel – einem Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs – steht auf einem Metallpfahl eine kleine bronzene Büste Stalins. Gleich neben dem Kriegerdenkmal befindet sich unter einer Tanne ein überdachter Tisch mit zwei Bänken, auf dem ein abgenutztes Backgammon-Brett liegt. Wenn es wieder wärmer wird, treffens sich hier abends die Einwohner von Muchrani, um zu plaudern, zu spielen und etwas zu trinken. Stalin steht dann mitten im Leben – auf Augenhöhe mit den kleinen Kindern, die rings um die Rutsche toben.

In den Herrschaftsjahren Stalins wäre es in der Sowjetunion lebensgefährlich gewesen, so ein Denkmal zu errichten. Damals musste Stalin alles und jeden überragen und überstrahlen. Nach ihm wurden Städte benannt, in allen Städten trugen die größten Straßen und Plätze seinen Namen. Er wurde als „großer Führer“ der Sowjetunion verehrt, als „Vater der Völker“ und „großer Lehrer“. Zitate des „genialen Gelehrten“ schmückten Werke aller wissenschaftlichen Fachrichtungen, Dichter schrieben ihm übernatürliche Kräfte zu. Menschen verschwanden für Jahre in sibirischen Straflagern, nur weil sie bei der Erwähnung von Stalins Namen nicht enthusiastisch genug Beifall geklatscht hatten.

Ein Stalin-Denkmal wie das in Muchrani wäre damals als frevelhafte Verspottung des großen Führers verstanden worden. Aber diese kleine Büste ist ein ernst gemeinter Ausdruck der Verehrung für Stalin. Muchrani ist ein kleines Dorf etwa vierzig Kilometer nordwestlich von Georgiens Hauptstadt Tiflis. Die Menschen hier haben das Denkmal vor einigen Jahren aus eigener Initiative mit eigenen Mitteln errichtet. Und weil Georgien arm ist, hat es in Muchrani eben nur für diese kleine Büste gereicht.

„Wir müssen Stalin überwinden“

Muchrani ist nicht der einzige Ort in Georgien, an dem in den vergangenen zehn Jahren ein neues Denkmal für Stalin errichtet oder ein altes wiederhergestellt wurde. Stalin war Georgier, und viele Georgier sind stolz auf ihn, den berühmtesten Georgier aller Zeiten. Ein echter georgischer Patriot müsse stolz auf Stalins Herkunft sein, gab in einer Umfrage Ende 2021 die Hälfte der Befragten an. Zwei Drittel stimmten der Aussage zu, Stalin sei ein weiser Führer gewesen, er habe der Sowjetunion Macht und Wohlstand gebracht.

Zeichen fehlgeleiteter Anhänglichkeit: Stalin-Denkmal in Muchrani


Zeichen fehlgeleiteter Anhänglichkeit: Stalin-Denkmal in Muchrani
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Bild: Reinhard Veser

Doch wer nur diese Zahlen betrachtet, geht in die Irre. In Wirklichkeit ist das Verhältnis der georgischen Gesellschaft zu Stalin kompliziert und voller Widersprüche: In der gleichen Umfrage äußerte eine Mehrheit auch, Stalin sei ein Tyrann gewesen, der die Schuld am Tod von Millionen unschuldiger Menschen trage. Im politischen Alltag wird selten über Stalin gesprochen, überzeugte Stalinisten gelten als kuriose Randerscheinung. Und doch steht Stalin als unsichtbare Größe immer im Raum.

„Wir müssen Stalin überwinden, sonst können wir nie eine Nation von Bürgern werden“, sagt Giorgi Kandelaki. Er gehört zu einer Organisation namens SovLab – die Abkürzung steht für „Laboratorium zur Erforschung der sowjetischen Vergangenheit“. Es wurde 2010 von Historikern, Journalisten, Schriftstellern und Nachfahren von Opfern gegründet, um eine öffentliche Debatte über die Geschichte Georgiens in der Sowjetunion anzustoßen. SovLab will bis dahin nicht erzählte Schicksale der Menschen unter kommunistischer Herrschaft aufzeichnen und so dazu beitragen, dass sich das Land innerlich vom Erbe der Diktatur löst.

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