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#Das Glück wohnt jenseits der Bilder

„Das Glück wohnt jenseits der Bilder“

Dass ein Mächtiger mit dem Ausscheiden aus seinem Amt aus der Gegenwart in die Zeitgeschichte entrückt wird, ist normal. Aber so rasch ist noch kein deutscher Regierungschef historisch geworden wie Angela Merkel. Kein halbes Jahr nach ihrer letzten Amtshandlung als Bundeskanzlerin wirken die sechzehn Jahre, in denen sie die Geschicke der Bundesrepublik bestimmt hat, wie eine nicht bloß abgeschlossene, sondern geradezu versunkene und unwiederbringlich verlorene Epoche. Wer über diese Jahre heute nachdenkt, tritt in ein Gespensterreich ein, und deshalb ist es nur konsequent, dass die erste Wiederbegegnung mit Angela Merkel nicht im Fernsehen oder bei einer öffentlichen Feier stattfindet, sondern im Museum.

Das Deutsche Historische Museum Berlin zeigt in einer Überblicksschau sechzig Bilder aus den Porträtserien, welche die Fotografin Herlinde Koelbl seit 1991 von Angela Merkel aufgenommen hat. Das älteste Foto entstand kurz nach Merkels Ernennung zur Ministerin für Frauen und Jugend im dritten Kabinett Kohl, das jüngste kurz vor dem Ende ihrer Kanzlerschaft. Dennoch sind es, anders, als es das DHM verspricht, nicht Stationen einer politischen Karriere, die man hier sieht, sondern Verwandlungen und Verkleidungen eines Körpers und eines Ge­sichts. Es gibt die Zeit der karierten und der einfarbigen Blazer, die Zeit der Gold- und dann der Perlenketten, die Zeit der Blusen mit und ohne Kragen, die Zeit der Seidentücher, die verschwinden, und der Hosenanzüge, die kommen. Und es gibt die Metamorphose eines Lä­chelns, das vom breiten Strahlen zum bittersüßen Verdämmern verkümmert.

Unter den fünfzehn Fotos der lächelnden Angela Merkel, die an einer Seitenwand zu einer Art Mosaik zusammengefügt sind, stammt nur eine Aufnahme aus den vorigen Jahren, aber gerade sie hinterlässt den stärksten Eindruck, denn sie zieht die Bilanz von dreißig Jahren Partei- und Regierungspolitik. Die Heiterkeit, die darin in den Zügen der Kanzlerin aufleuchtet, ist mehr Erinnerung als Wirklichkeit, sie hat das Reich der Sorge, dem sie entspringt, gerade erst verlassen und wird sofort wieder darin eintauchen. Schon lange vorher, am Beginn ihrer Laufbahn, hat diese Frau erkannt, dass sie im Licht der Öffentlichkeit „menschenscheu geworden“ ist, „nicht mehr so, wie ich war“, und „sehr erschöpft, an der Grenze meiner Belastbarkeit“. Aber jetzt weiß sie es. Ihre Freundlichkeit, ihre Hartnäckigkeit, ihr Einssein mit sich selbst ist der Erschöpfung abgerungen.

Angela Merkel 1998


Angela Merkel 1998
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Bild: Herlinde Koelbl

Das spiegelt sich in ihrem Auftritt. Wer sich verausgabt, muss Energie sparen. Die Pose, in frühen Porträts noch spielerisch, manchmal unsicher, wird statisch. Die „Raute“, der Fingerkäfig, ab 1998 ihr Markenzeichen, schließt die Figur nach vorne ab, sie teilt die Wasser im Raum wie ein Schiffsbug. Darüber, gestützt von Blazer und Bluse, schwebt der Kopf in größtmöglicher Entfernung zum Boden. Auch mit jenen Staatsoberhäuptern, die sie körperlich weit überragten, war Merkel immer auf Blickhöhe. Was andere ihr an Höhe voraushatten, glich sie aus durch Statur. Nur ein Tier im Bild konnte sie aus der Fassung bringen, das spürte der Herr der Hunde im Kreml mit sicherem Instinkt. Sich selbst verglich sie im Gespräch mit der Fotografin mit einem Kamel: So könne sie einen Vorrat an Schlaf in sich speichern, um ihn bei nächtelangen Sitzungen aufzuzehren. Aber dann müsse sie „auch wieder auftanken“. Davon, vom Auftanken, sieht man nichts in diesen Fotografien, die bei aller Nähe immer auch Fassade sind. Das Glück wohnt jenseits der Bilder.

Angela Merkel 2021


Angela Merkel 2021
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Bild: Herlinde Koelbl

Die Fotografie, hat Roland Barthes ge­schrie­ben, sei ein so „wertvolles Wunder“, weil sie eine Wirklichkeit zeige, „vor der wir geschützt sind“. Aber vor Angela Merkel musste man nie geschützt werden: Sie war es, die vor den fremden Augen durch Kleidung und Gestus in Deckung ging. Je­des ihrer Porträts ist ein Verhandlungsangebot. Vielleicht liegt darin, in dieser unumschränkten Herrschaft des Zivilen, das heillos Märchenhafte, Phantasmagorische dieser Fotoausstellung. Inzwischen regiert wieder der verpanzerte Männerkörper im Anzug, mit dem Gesicht als Geschützturm und Ausguck. So müssen sich die Zeitgenossen des süddeutschen Biedermeiers nach 1871 gefühlt haben, als die Nationalseele plötzlich Pickelhaube trug und der Frieden mit Krieg erkauft war. Noch vor ein paar Mo­na­ten hätte man nicht geglaubt, dass Wörter wie „Panzerhaubitze“ wieder Bestandteil der politischen Rede werden könnten. Die Friedenszeit ist endgültig vorbei. In dieser Ausstellung kann man es sehen.

Herlinde Koelbl. Angela Merkel. Portraits 1991–2021. Deutsches Historisches Museum, bis zum 4. September. Der Katalog kostet 50 €.

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