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#Das große Flirren

Das große Flirren

Der französische Romantiker Gérard de Nerval war 1843 im damals so genannten Orient unterwegs. Er war auf Malta, in Kairo, in Beirut. In einem Brief, den er seinem Freund Théophile Gautier schrieb, beschwerte sich der Schriftsteller, dass die Palmen wie dünne Staubwedel aussähen, der Ibis eben doch nur ein wilder Vogel, der Nil schlicht rotes Wasser und der Lotus nichts als eine gemeine Zwiebel sei. Er bedauerte zutiefst, seine Wünsche und Träume vom Orient durch die Reise in die Realität zerstört zu haben.

Nervals Brief, sein Unglück offenbaren die Strukturen dessen, was man seit einiger Zeit „Othering“ nennt: Man verklärt und mystifiziert eine andere Kultur, um gleichzeitig seine eigene als überlegen darzustellen. Obwohl wir heute alle Möglichkeiten haben, diese Exotisierungen mit der Realität abzugleichen, sind diese Strukturen doch tief ins kollektive Gedächtnis des Westens eingeschrieben. Ihnen widmet sich die junge Künstlerin Anna Ehrenstein, die jetzt den Talent Award des Berliner Ausstellungshauses C/O Berlin verliehen bekommt. 1993 wurde sie in Deutschland als Kind albanischer Einwanderer geboren.

Ihr Name ist Ergebnis einer Kultur, die auf Angleichung statt auf Akzeptanz des Unterschiedes drängt: Ursprünglich wollte ihre Mutter sie Ana nennen, was im deutschen Krankenhaus aber für einen Fehler gehalten wurde. So kam das zweite „n“ in ihren Namen. Während ihre Mutter ein Arbeitsvisum bekam, musste ihr Vater zurück nach Tirana. Als ihre Mutter später einen Deutschen heiratete, nahm sie dessen Nachnamen an. So wurde aus Ana Katragjini Anna Ehrenstein.

Das zu erwähnen ist wichtig, weil schon in diesem biographischen Detail viel von dem steckt, was ihre Arbeit heute beeinflusst. Ehrenstein, die zunächst Fotografie in Dortmund und dann Medienkunst in Köln studiert hat, macht sich alles zunutze, was es braucht, um sich möglichst nah an die sogenannte Gegenwart heranzuarbeiten. Für ihre Arbeit „A Lotus is a Lotus“, bei der sie sich auf Nervals traumatisches Erlebnis bezieht, hat sie ein Video-Interview mit einer chinesischen Fremdenführerin geführt, die mit Touristengruppen auf Märkte geht, um ihnen das vermeintlich authentische Peking zu zeigen. Auf diesen Märkten kann man Essstäbchen aus Plastik, gefälschte italienische Designerware und Buddhastatuen für den heimischen Vorgarten kaufen. Unterbrochen werden diese Interviewszenen in Ehrensteins Arbeit immer wieder durch animierte Bilder von Dingen, die bei der Bildersuche in Webportalen als Erstes auftauchen, wenn man nach bestimmten Ländern sucht – zum Beispiel Kamele bei Marokko, Bauchtänzerinnen bei Ägypten, und Raketen, wenn man die Vereinigten Staaten von Amerika eingibt.

Auch das erklärt, warum sich im Informationszeitalter die meisten vorgefertigten Bilder so hartnäckig halten: Man bekommt zu sehen, was man erwartet. Das Internet ist keineswegs ein neutraler Ort, der alle gleich behandelt (für „albanisch“ schlägt die automatische Rechtschreibkorrektur in diesem Text stur „italienisch“ vor). Ein Algorithmus kann nur das wiedergeben, was Menschen vorher eingespeist haben. Genau diesen Mechanismus, der einem das eigene Klischee als objektives Wissen und Information verkauft, legt Ehrenstein offen. Fast immer bestehen ihre Arbeiten aus mehreren Komponenten, so auch diese: Es gibt das Video, dazu in giftgrünes, glibberiges Silikon gegossene Essstäbchen, gefälschte Louis-Vuitton-Schlüsselbänder und andere folkloristische Objekte sowie als „Wackelbilder“ bekannte Lentikulardrucke.

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