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#Das merkwürdigste unter den Völkern

Das merkwürdigste unter den Völkern

Um ein Gott zu werden, hat der Mensch zwei Möglichkeiten: Er kann sich in höchste Himmel erheben oder – frei nach dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss – zu Schmutz und Würmern begeben, jede Abscheu vor der Natur verlieren. Im Debütroman des Schweizers Lukas Maisel, dem „Buch der geträumten Inseln“, braucht der Protagonist Robert Akeret beide Strategien, um zu triumphieren. Er und drei weitere Männer begeben sich auf eine strapaziöse Expedition nach Papua-Neuguinea; sie wollen im Urwald eine Spezies entdecken, die zwischen Mensch und Affe steht. Alle Mühen werden sich gelohnt haben, wenn er besagtes Wesen auf den Namen „Homo Akereti“ tauft und sich selbst damit in der Zoologie verewigt.

Der Roman beginnt mit viel angelesenem Wissen, das die Handlung immer wieder hinauszögert. Zu einem großen Entdecker-Epos wird er sich nie aufschwingen. Die Begegnungen im Urwald bleiben lakonisch. Akeret zeigt auf einer Folie, nach was er sucht, und hofft dann, die Ureinwohner könnten das gewünschte Wesen mal eben hinter ihren Hütten hervorkramen.

Verwandtschaften können im Verborgenen liegen

Viel wichtiger ist die innere Handlung. Hier geschieht das In-Beziehung-Setzen. Akeret, der als Autist lieber die Gesichter der Dinge als der Menschen deutet und die Vereinzelung der Wissenschaften beklagt, macht aus allem, was ihm in den Tropen unterkommt, eine ganz große Metapher. Ein Singapurer Einkaufszentrum ist ihm Termitenhügel und Turm zu Babel zugleich. Das Wesen, das sie suchen, ist der Paradiesvogel, ist die Küstenschwalbe, ist die lebende Göttin von Kathmandu. Denn die Taxonomie lehrt ihn, dass Verwandtschaften im Verborgenen liegen können. Aus dieser eigentlich biologischen Einsicht wird hier ein literarisches Programm gemacht.

Lukas Maisel: „Buch der geträumten Inseln“. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 272 S., geb., 22,– €.


Lukas Maisel: „Buch der geträumten Inseln“. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 272 S., geb., 22,– €.
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Bild: Rowohlt Verlag

Die drei Begleiter Akerets bringen ihre jeweils eigene Intelligenzform mit. Blum ist Student der Ethnologie. Als Kompass politischer Korrektheit liefert er immer wieder Steilvorlagen für Akerets schrankenlosen Verstand. Dazu stoßen zwei Einheimische, ohne die es schlecht um die Expedition bestellt wäre. Da ist einmal der rehabilitierte Pirat Jonah. Er kann Himmelsrichtungen in seiner Fingerspitze spüren und spricht „Unserdeutsch“: Seine Großmutter war vom Volk der „Gutentag“ verschifft worden und studierte dann in einem deutschen Menschenzoo die Besucher, die sie begafften – eine der schönsten Szenen des Romans. Der Vierte im Bund ist Mansur, der das Boot besorgt, den Käfig für das gesuchte Wesen schweißen lässt und die Gruppe dazu bringt, viel „Plastikunsinn“ mitzunehmen: zum Beispiel billige Kricket-Trikots, mit denen sie sich die Gunst nackter Stämme erkauft.

Das Buch schließt zwar mit einem ordentlichen Quellenverzeichnis, doch seine wichtigste Quelle sei eine der fiktiven Figuren, heißt es im Vorwort: Die traumwandelnde Ober-Kryptozoologin Doktor Unland habe bei der Recherche mitgeholfen. Zwischen diesen Polen bewegen sich auch Akeret und der Erzähler. Beide sind äußerst unzuverlässig, was den Inhalt angeht, behaupten sich gegenüber den Lesern aber mit geschraubter Wissenschaftssprache. Formal helfen ihrer Glaubwürdigkeit noch die schönen Versalien und die Illustrationen von Rafael Koller. Wie in Luckys Monolog aus „Warten auf Godot“ können die vielen Phrasen und Verweise („qua, qua, qua“) als ein Sprachspiel und als Pose verstanden werden. Das ersehnte Wesen rückt dabei jedenfalls in immer weitere Ferne. Stattdessen wird das merkwürdigste unter den Völkern ausgemacht: die Akademiker, jener Stamm, dem der Erzähler zuletzt angehören wollte.

Oder trifft sein Spott auch die Leser, falls diese auf das Maskenspiel hereinfallen? In einem längeren Exkurs ist eine abwegige Lüge versteckt, die man am liebsten schulterzuckend akzeptieren würde, weil man so viel Anschauliches über Lévi-Strauss und Linné gelesen hat. Vielleicht handelt es sich bei diesem Scherz ja auch um eine „Papierstraße“, wie sie nur auf Landkarten existiert und Robert Akeret schon als Kind fasziniert hat. Die Papierstraße, lernte er damals, ist kein Fehler auf der Karte, aber auch nicht böswillig eingetragen. Sie ist eine Falle, um Plagiate zu entlarven. Es gibt sie gerade dafür, dass es sie nicht gibt. Für Akeret eine betörende Metapher.

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