Wissenschaft

#Das Rätsel von Cornaux/Les Sauges

Knochen, Schädel und Balken in einem Flussbett – was ist vor rund 2100 Jahren an der keltischen Brücke von Cornaux/Les Sauges in der Schweiz passiert? Diese Frage hat nun ein interdisziplinäres Forschungsteam neu untersucht. Sie wollten wissen, ob die rund 20 inmitten der Brückentrümmer im Fluss entdeckten Skelette aus der Keltenzeit durch einen Unfall – beispielsweise den Einsturz der Brücke bei einer Sturzflut – starben oder aber durch Menschenhand.

Die Kelten waren während der Eisenzeit die prägende Kultur in Europa. Die zahlreichen unterschiedlichen Stämme und Verbände dieser Kultur breiteten sich von Anatolien bis nach Irland aus. In Mitteleuropa bezeichnen Archäologen diese ab etwa 800 vor Christus vorherrschende Kultur als Hallstadtzeit und La-Téne-Zeit. Doch wie diese Menschen damals lebten, ist erst in Teilen bekannt. Denn ein Großteil der überlieferten Berichte aus jener Zeit stammen von den Römern. “Weil diese Erzählungen von einem militärischen Gegner kommen, sind sie nicht immer objektiv und vollständig”, erklärt Erst-Autorin Zita Laffranchi von der Universität Bern. Aus früheren Funden ist allerdings bekannt, dass die Kelten im Rahmen ihrer Rituale auch vor Gewalt und Menschenopfern nicht zurückschreckten.

Wie starben diese Kelten?

Unter anderem deshalb geben die im schweizerischen Cornaux/Les Sauges gemachten Funde Archäologen Rätsel auf. 1965 wurden bei Bauarbeiten im Sediment des dortigen Flusses Thielle die Überreste einer hölzernen Brücke aus der Keltenzeit entdeckt. Die Trümmer legten nahe, dass diese Brücke schon vor rund 2100 Jahren eingestürzt sein muss. Zwischen und teilweise unter den Trümmern entdeckten Archäologen die Gebeine von rund 20 Menschen und mehreren Pferden und Rindern. Auch einige Alltagsobjekte sowie Waffen wurden gefunden. Erste Datierungen legten nahe, dass auch diese Überreste aus der Zeit der Kelten stammten.

Doch wer waren diese Menschen? Und was war ihnen zugestoßen? Bisher herrscht darüber Uneinigkeit. Eine These lautet, dass eine plötzlich auftretende Sturzflut damals zum Einsturz der Brücke führte und dabei auch die zufällig auf der Brücke Passierenden unter sich begrub. Denkbar wäre aber auch, dass es sich bei den Skeletten um Menschenopfer handelt – von den keltischen Völkern ist bekannt, dass diese oft in Zusammenhang mit Wasser stattfanden. Um herauszufinden, was in der Keltenzeit in Cornaux/Les Sauges geschehen war, haben Zita Laffranchi von der Universität Bern und ihre Kollegen die Gebeine noch einmal genauer untersucht. Sie extrahierten und sequenzierten die DNA der Toten, ermittelten die Isotopenwerte der Knochen, datierte sie und untersuchten die Verletzungen und Merkmale der Skelette.

Stumpfe Gewalt, auffällige viele junge Männer

Die Untersuchungen bestätigten, dass die meisten der 20 Kelten etwa in der Zeit des Brückeneinsturzes starben. Den Radiokarbondatierungen zufolge stammten die Skelette aus der Zeit zwischen dem dritten und ersten Jahrhundert vor Christus. Die meisten Toten wiesen zudem mindestens eine schwere Verletzung auf, die ihnen zur Zeit des Todes zugefügt wurde. „Die Morphologie dieser Verletzungen deutet in allen Fällen auf einen heftigen Schlag mit einem stumpfen Objekt hin“, berichtet das Team. Die Knochenläsionen und Brüche waren dabei auf ganz unterschiedliche Körperteile verteilt, es fehlten jedoch Wunden durch spitze Waffen wie Messer, Beile oder Speere.

Auffällig war die Alters- und Geschlechtsverteilung der Opfer: Unter den 20 Toten waren ein Mädchen und zwei weitere Kinder und 17 zumeist junge Erwachsene – von diesen waren 15 junge Männer. Damit unterscheidet sich diese Gruppe in ihrer Zusammensetzung deutlich von dem, was man beispielsweise für zufällige Passanten auf der Brücke erwarten würde, wie Laffranchi und ihre Kollegen erklären. Diese demografische Einseitigkeit könnte demnach auf eine Gruppe geopferter Gefangener oder Sklaven hinweisen, aber auch auf einen von der Sturzflut überraschten Konvoi von Händlern oder Soldaten. Dazu passt, dass keiner dieser Menschen enger miteinander verwandt war.

Eher Unfall als Opfer

Was aber bedeutet all dies nun für die Rekonstruktion des Geschehens? “Bei Berücksichtigung all dieser verschiedenen Elemente lässt sich vermuten, dass sich in Cornaux ein heftiger, schneller Unfall ereignet hat”, fasst Seniorautor Marco Milella von der Universität Bern zusammen. Demnach starben die Menschen vermutlich durch den Zusammensturz der Brücke bei einer Sturzflut und durch die umherfliegenden Trümmerteile. Allerdings schließen die Forschenden nicht aus, dass vielleicht einige der Opfer schon vor diesem Unglück im Rahmen von Ritualen starben. “Die Brücke hatte schon davor ein Leben. Sie könnte eine Opferstätte gewesen sein”, so Milella. “Es muss nicht zwingend nur eine der beiden Thesen zutreffen.” Das genaue Szenario der Ereignisse bei der Brücke von Cornaux/Les Sauges werde vermutlich ein Rätsel bleiben.

Quelle: Schweizerischer Nationalfonds SNF; Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-024-62524-y

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