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#Das Spiel mit den Dämonen

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Das Spiel mit den Dämonen

„Fußball ist ein einfaches Spiel, bei dem 22 Mann 90 Minuten lang einem Ball hinterherlaufen – und am Ende gewinnt immer Deutschland.“ Kein Geringerer als mein Freund, die englische Fußball-Ikone Gary Lineker, hat diesen Spruch geprägt. Nach dem WM-Halbfinale 1990 in Turin. Im Elfmeterschießen hatten die Deutschen auf dem Weg zum Titel die Three Lions bezwungen.

Der Spruch wirkt nach den Auftritten der Nationalmannschaft gegen Frankreich und Ungarn irgendwie wie von gestern. So ein bisschen museal. Jogis Jungs sind nicht die, die mit breiter Brust den Adler tragen. Und jetzt kommt die bärenstarke Truppe von der Insel.

England also – und dann auch noch im Wembley-Stadion! Fußball-Geschichte wurde dort geschrieben. 1966 zum Beispiel, als das berühmte Wembley-Tor von Geoff Hurst England zum Fußball-Weltmeister machte. War der Ball wirklich hinter der Linie? Nein, lautet meine klare Antwort. Oder 1996: Auch dank eines furios aufspielenden Paul Gascoigne träumte England bei der EM lange vom ersten Titel seit 66 – bis Andreas Möller im Halbfinale erst den zwölften Elfmeter verwandelte und danach die Gascoigne-Jubelpause kopierte. Kurz zuvor hatte Gareth Southgate verschossen – ausgerechnet. Der Mann ist heute Trainer in England und könnte auf Revanche aus sein. Deutschland zog damals ins Finale ein, wurde später Europameister. Und nun?

Nur ein riesengroßer Bluff?

Für mich ist dieses Spiel vollkommen offen, denn die Engländer verkaufen sich bisher brutal unter Wert. Sie spielen auf Sicherheit, sind gefangen in taktischen Zwängen, dabei haben sie das gar nicht nötig. Meiner Meinung nach besitzen sie die größte Angriffspower aller Mannschaften in diesem Turnier. Wenn ich meine Augen schließe, dann sehe ich vorne drinnen einen Harry Kane, dann sehe ich links Phil Foden und rechts Jadon Sancho. Englands Trainer Gareth Southgate hat sie bisher noch nicht zusammen eingesetzt. Dabei bringen sie alles mit, was du heute brauchst: Da ist Torgefahr bei Kane, da ist die moderne Straßenfußballer-Genetik bei Foden und Sancho, die immer wieder das Eins-gegen-Eins suchen und dich sogar in einer Telefonzelle schwindelig spielen.

F.A.S.-Experte Lutz Pfannenstiel


F.A.S.-Experte Lutz Pfannenstiel
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Bild: Privat

Dass Sancho bei dieser EM bisher keine Rolle spielt, zeigt mir, dass die Bundesliga in England überhaupt nicht wahrgenommen wird. Dass man ausblendet, was im Ausland passiert. Denn bei Borussia Dortmund war Sancho zuletzt überragend, aber Southgate hat ihn zweimal gar nicht berücksichtigt und gegen Tschechien erst spät eingewechselt. Entweder hat Southgate also wirklich andere Pläne – oder die Vorrunde war nur ein riesengroßer Bluff. Ich kenne mich ganz gut aus in der Premier League, sehe viele Spiele und bin oft dort. Die Fans auf der Insel jedenfalls verstehen ihren Coach nicht wirklich: Da haben sie eine Offensive, nach der sich die Welt die Finger leckt, und dann werden sie nicht so richtig losgelassen, die jungen Wilden.

Dabei ist für England bei dieser EM etwas Historisches möglich. Der Kader ist super, eine gute Mischung aus Erfahrenen und Jungen, aus hart arbeitenden Spielern und guten Technikern. Die Engländer haben momentan nicht einmal das akute Torwartproblem, das sie früher so oft beklagten. Sicher, Jordan Pickford spielt in Everton, das ist kein Topverein. Aber 2018, bei der WM, da war er schon richtig stark, da hat man gedacht, das wird der nächste ganz Große. Dieses Niveau hat er nicht halten können. Pickford ist kein Manuel Neuer, niemand aus der Weltklasse – aber er hat bei dieser EM noch kein Gegentor bekommen.

Ich bin gespannt, wer das Spiel am Dienstag (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-EM, in der ARD und bei MagentaTV) an sich reißen wird. Denn eines ist klar: Sancho und Foden oder auch Sterling auf den Außen können den Deutschen richtig wehtun. Wenn die ihre Geschwindigkeit auf den Rasen bringen und bei Kontern auf dich zulaufen, kannst du dich auf Dauer kaum verteidigen. Dann sind sie eine richtige Waffe. Aber wenn die Engländer das Spiel machen müssen, wenn man ihnen den Platz und damit auch den Speed nimmt, dann fehlten ihnen bisher auch die Ideen.

Southgate will nichts dem Zufall überlassen und lässt seit fast einem Jahr offenbar immer wieder Elfmeter trainieren. Wiederholt sich die Geschichte? Als ob das etwas nützen würde! Es heißt immer, man könne im Fußball alles trainieren. Aber deine Nerven machen im entscheidenden Moment mit dir, was sie wollen. Wenn es in Wembley gegen Deutschland wirklich zum Elfmeterschießen kommt, dann sage ich jetzt schon, dass die Engländer traditionell versagen werden. Denn dann sind auch die alten Dämonen wieder da. Und die wirst du nur los, wenn du einmal ein entscheidendes Elfmeterschießen gewinnst. Gary Lineker lässt grüßen . . .

Lutz Pfannenstiel hat in seiner Profikarriere auf allen ­Kontinenten gespielt: 25 Vereine in 13 Ländern, nachzulesen in „Unhaltbar – Meine ­Abenteuer als Welttorhüter“. Derzeit bereitet er St. Louis City SC als Sport­direktor auf den Start in der MLS von der Saison 2023 an vor. Zuvor war er für das Scouting bei der TSG ­Hoffenheim verantwortlich und als Sportvorstand bei Fortuna Düsseldorf tätig. Pfannenstiel, 48, arbeitet auch als TV-Experte für ZDF, BBC und DAZN. Er war Auslandsexperte beim DFB und Trainerausbilder bei der FIFA. Pfannenstiel begleitet die Fußball-EM (11. Juni bis 11. Juli) für die Frankfurter Allgemeine Zeitung als Experte.

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