#Das Ufo von der Wilhelmstraße
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„Das Ufo von der Wilhelmstraße“
Wie ein Raumschiff scheint das Gebäude auf dem Niemandsland zwischen dem Brandenburger Tor und der Leipziger Straße gelandet zu sein, direkt am Wilhelmplatz, dem einstigen Regierungszentrum des Deutschen Reichs. Die schwarz-weiße Fotografie zeigt einen leer gefegten Ort, an dem sich vor den Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg Ministerien befanden. Der Grund, auf dem die neue tschechische Botschaft in den Siebzigerjahren aufgebaut wurde, ist historisch aufgeladen.
Anlässlich des Fünfzig-Jahr-Jubiläums des Planungsbeginns widmet sich nun eine Ausstellung im Tschechischen Kulturzentrum der Erbauungsgeschichte der Botschaft. Es werden zeitgenössische Fotoserien der Fotografen Simon Schnepp und Morgane Renou gezeigt. Außerdem sind Reproduktionen historischer Pläne und Entwurfsskizzen aus der Nationalgalerie Prag ausgestellt. Hinzu kommt ein Architekturmodell sowie Originalentwürfe der Möbel – darunter die filigran geschwungenen Porzellanlampen, marmorierte Blumenkästen oder die überall im Gebäude verteilten roten Ledersessel.
Jeder Konferenzsaal ein eigenes Kunstwerk: Lampeninstallation im ersten Obergeschoss.
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Bild: Morgane Renou und Simon Schnepp
Das Botschaftsgebäude der ČSSR war ein poppiges Novum in Ostberlin, dessen Neubau von 1974 bis 1978 errichtet und im Februar 1979 eröffnet wurde. Entworfen wurde es vom tschechischen Architekten-Ehepaar Věra und Vladimír Machonin, den Stars des Prager Brutalismus. Sie arbeiteten mit dem Architekten Klaus Pätzmann zusammen, der dafür zuständig war, dass die Pläne mit der städtebaulichen Agenda der DDR in Einklang standen. Das Haus fiel in der Nachbarschaft auf, insbesondere weil es als radikalfuturistischer Solitär nah am Mauerstreifen geplant wurde.
Eigentlich für Nairobi geplant
Lediglich der Plattenbau der Botschaft Nordkoreas und die Reste des Reichspropagandaministeriums prägten die umgebende Stadtlandschaft. Die isolierte Lage an der Wilhelmstraße 44 war für den Entwurfsprozess eine Herausforderung, da das Paar sonst eigentlich bedeutende Lücken im historischen Zentrum von Prag füllte. Aber es war auch eine Chance, den Platz mit einem stilprägenden Bau zu formen. Die Ironie daran ist, dass das Haus erst als Botschaftsgebäude für Nairobi geplant war, aber wegen seiner Ausmaße als passender für Berlin betrachtet wurde.
Getönte Fensterfront mit Ledersessel: der tschechische Brutalismus war besonders verspielt.
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Bild: Morgane Renou und Simon Schnepp
Allein die technische Gestaltung war für die damalige Zeit spektakulär: Auf einer Grundfläche von 48 mal 48 Metern ruht der Würfel aus verdunkeltem Glas, Granit, Stahl und Beton auf Pfeilern. Fünf Geschosse mit abgeschrägten Ecken sind über dem Eingangssockel aufgetürmt und mit kupfergetönten Glasscheiben verkleidet, in denen sich die gegenüberliegenden Plattenbauten spiegeln. Die geometrische Außenhaut mit den Glaskapseln trägt zur skulpturalen Gesamtwirkung bei.
Diese äußere Erscheinung steht im Kontrast zum farbigen Design im Inneren, das von Glas- und Textilkunstwerken sowie Einbaumöbeln geprägt ist. Hinzu kommt die durchgängige Nussbaumverschalung, die an böhmische Burgen erinnert. Es gibt kreisrunde Bars, orangefarbene Teppiche und Toiletten- und Telefonkabinen mit Schiebetüren aus Milchglas. Das erste Obergeschoss, in dem auch das Hauptauditorium und ein Kinosaal gelegen sind, ragt über dem Erdgeschoss stark aus, durch die Aufständerung scheint der Baukörper zu schweben.
Hauptwerk des tschechischen Brutalismus
Das Gebäude gilt als eines der Hauptwerke des tschechischen Brutalismus und erinnert an das Warenhaus Kotva am Náměstí Republiky, das ebenfalls von Věra Machoninová entworfen wurde, oder das Hotel Intercontinental an der Pařížská in Prag. Gerade in der Tschechoslowakei war der Architekturstil in den Siebzigerjahren äußerst beliebt, sowohl für Regierungsgebäude, aber auch für Kaufhäuser, Wohngebäude und Infrastruktur. Wegen seiner Silhouette und Pop-Art-bunten, psychedelischen Inneneinrichtung erhielt die Botschaft von den Berlinern den Spitznamen „Raumschiff Enterprise“. Doch mit dem Wiederaufbau der Stadtmitte nach dem Mauerfall, als die Botschaftsgegend plötzlich wieder im Herzen der Bundeshauptstadt lag, war die Fassade manchen ein Dorn im Auge.
Seit der Wiedervereinigung gab es in der Stadt einen Disput darüber, ob das skurrile Gebäude abgerissen, historisch belassen oder saniert werden soll. Lange Zeit plante das Außenministerium der Tschechischen Republik den Neubau an gleicher Stelle, bis sich in der tschechischen Gesellschaft Widerstand formte, denn der Brutalismus, der in der ganzen Welt immer mehr Liebhaber findet, wird auch in Tschechien seit einigen Jahren als nationales Kulturerbe betrachtet. Gerade tschechoslowakische Architekten prägten diesen Stil maßgeblich.
Die Prager Nationalgalerie widmete ihm deshalb 2020 eine umfassende Ausstellung. Auch die Berliner Schau zeigt den besonderen Gestaltungswillen der damaligen Zeit und unterstreicht, wie bedeutend die Formsprache des Gebäudes ist, das hoffentlich wieder zum Vorbild für andere Botschaftsneubauten wird, die heutzutage oft vom Berliner Blockrand gestalterisch determiniert sind.
Raumschiff Enterprise – 50 Jahre Tschechische Botschaft in Berlin. Im Tschechischen Kulturzentrum, Wilhelmstraße 44, Berlin, bis zum 3. Oktober. Dazu erscheint eine Broschüre.
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