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#Das Verhalten der Verglichenen

Das Verhalten der Verglichenen

Manche Soziologen wollen herausgefunden haben, dass heute ungleich mehr und ungleich intensiver konkurriert wird als noch vor wenigen Jahrzehnten. Schon machen Warnungen vor einer Ellenbogengesellschaft die Runde.

Die empirische Grundlage dieser Diagnose ist jedoch außerordentlich schmal. Sie liegt bevorzugt darin, dass man in vielen Bereichen dazu übergegangen ist, regelmäßige Leistungsvergleiche zwischen typgleichen Organisationen anzustellen und die Ergebnisse in transitive Rangordnungen zu pressen. Seither verfügen auch Krankenhäuser und Universitäten, ähnlich Fußballmannschaften, über einen mehr oder minder imponierenden Listenplatz. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie auch miteinander konkurrierten, und erst recht nicht, dass diese Konkurrenz auch all die segensreichen Wirkungen hätte, die Ökonomen ihr zuschreiben. Die gewünschte Konkurrenz könnte zum Beispiel auf Kosten einer gleichfalls gewünschten Kooperation gehen – und zu deren Schonung dann unterdrückt werden.

Vergleichbarkeit kann bestritten werden

Um hier klarer zu sehen, müsste man genauer wissen, wie die Verglichenen auf den Vergleich reagieren, denn das steht ja mit der Publikation der Vergleichsergebnisse noch keineswegs fest. Sie könnten zum Beispiel stolz genug sein, ihr vergleichsweise schlechtes Abschneiden einfach zu ignorieren. Oder sie könnten auf andere Rankings verweisen, in denen sie höher rangieren. Ferner könnten sie die Urteilskompetenz der vergleichenden Stellen anzweifeln und dies dadurch belegen, dass bei der Zusammenstellung der Vergleichsgruppe oder bei der Auswahl der Vergleichskriterien Fehler gemacht wurden, die sich zu ihrem Ungunsten auswirken. Was besagt zum Beispiel die hohe Mortalitätsrate eines lokalen Krankenhauses, auf die sich die lokale Presse immer sogleich stürzt, um sie zu skandalisieren, wenn sicher ist, dass 97 Prozent aller Kranken die Stätte ihrer Behandlung lebend verlassen? Defensive Reaktionsweisen gibt es also mehr als genug, und zum Beleg für die anspornenden Wirkungen der Konkurrenz taugt keine von ihnen.

In Amerika, wo die Erfahrungen mit den Rankings und ihren Vorformen weiter zurückreichen, gibt es bereits eine Reihe von Forschungen, die sich mit dem „Verhalten der Verglichenen“ befassen. Für den besonderen Fall der Leistungsvergleiche zwischen amerikanischen Krankenhäusern hat der Trierer Soziologe Christopher Dorn sie nun ausgewertet. Danach gibt es offenbar starke Anhaltspunkte dafür, dass die Ärzteschaft sich gegen die schlechten Leistungsbilanzen, die andere ihrem Haus ausstellen, zuverlässig zu immunisieren weiß – und zwar unter Anwendung all jener Techniken, die soeben genannt wurden. Das Interessante an Dorns Sozialgeschichte dieser Leistungsvergleiche und ihrer relativen Folgenlosigkeit liegt aber nicht allein in diesem Befund, sondern in der Erklärung, die er dafür vorschlägt.

Misserfolge sind etwas anderes als Leistungsdefizite

Es gehört zu den soziologischen Merkmalen der Berufsrolle des Arztes, dass sie ein erhebliches Maß an Immunität gegen Kritik nicht nur genießt, sondern auch braucht. Der Arzt ist zur Nothilfe auch dort verpflichtet, wo es keine Technologie gibt, die ihm den Erfolg seiner Invention garantiert. Der Handlungsdruck, unter dem er steht, geht über seine Wissensgrundlagen hinaus, wie man Dorn zufolge unter anderem daran erkennt, dass ihm auch die Folgen seines etwaigen Nichthandelns zugerechnet würden. Unter diesen Umständen sind gelegentliche Misserfolge nicht zu vermeiden. Also kann der Arzt sich mit den Erfolgserwartungen seiner Patienten nicht identifizieren – so wenig wie ein Anwalt, der ja, statistisch gesehen, jeden zweiten seiner Prozesse verliert. Stattdessen braucht er ein erfolgsunabhängiges Berufsethos: Nicht der Misserfolg ist demnach zu fürchten, sondern nur der Nachweis von Kunstfehlern. Diesen Nachweis zu führen sind aber nach Meinung der Mediziner nur andere Mediziner befähigt, und die wiederum werden keine Schwierigkeiten haben, Misserfolge oder verbesserungsfähige Leistungsniveaus merklich milder zu beurteilen als Nichtmediziner.

Von George Bernard Shaw stammt der Satz, wonach es sich bei Ärzten und anderen Professionen um eine Verschwörung der Spezialisten gegen die Laien handele. Das mag eine starke Übertreibung sein. Sicher ist, dass offene Konkurrenz unter Ärzten, da sie das gegenseitige Misstrauen schürt, die verständnisvolle Kooperation am Problem der unvermeidlichen Fehler gefährden würde. Die Vorstellung der Gesundheitspolitiker, durch Leistungsvergleiche einen Leistungsanreiz zu setzen, ist soziologisch naiv.

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