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#Das Verschwinden der Choreographen

Das Verschwinden der Choreographen

In den letzten Wochen war es zu vereinzelten Absagen von Vorstellungen gekommen, etwa beim Semperoper-Ballett oder beim Bayerischen Staatsballett, weil Tänzer positiv auf Covid-19 getestet worden waren. Am vergangenen Wochenende stemmte sich die Tanzwelt noch einmal gegen das Vergessenwerden. Schöner und bewegender hätte der letzte Abend vor dem Lockdown auch der Tanzbühnen kaum begangen werden können. Aus dem französischen Angers waren der junge Choreograph Noé Soulier, sein Solist Frédéric Tavernini und ihr Technik-Team nach Essen gereist, um im Choreographischen Zentrum „PACT Zollverein“ am Samstag und Sonntag aufzutreten.

Ursprünglich war geplant gewesen, Souliers 2018 uraufgeführtes, phantastisches Gruppenstück „The Waves“ zu zeigen (F.A.Z. vom 1. September 2018). Knapp vor dem Wochenende wandelte man dann den kompletten Ausfall des Gastspiels um in die unter Coronabedingungen mögliche Präsentation des Solos „Portrait of Frédéric Tavernini“, das Soulier 2019 für und über den Tänzer geschrieben hatte. Doch die Situation sollte sich noch einmal zuspitzen. Anstatt am Samstagabend wie geplant aufzutreten, saß Tavernini in seinem Essener Hotelzimmer fest, da der bei seiner Einreise durchgeführte Corona-Test nicht wie versprochen im Laufe des Samstags ein Ergebnis zeitigte.

So durfte er erst nach dem Eintreffen des negativen Ergebnisses am Sonntag auftreten. In schwarzem T-Shirt, locker sitzenden schwarzen Hosen und auf Socken steht der Tänzer, der bereits auf eine lange Karriere im klassischen und zeitgenössischen Tanz zurückblicken kann, auf der dunklen, schmucklosen Bühne. Am geöffneten Flügel sitzt, von hinten nicht gleich zu erkennen, sein Choreograph. Er wird für ihn spielen, Tschaikowsky, Chopin und Zeitgenössisches von Matteo Fargion.

Tanz und Existenz verschmelzen

Tavernini, ernst, manchmal auch traurig, zeichnet tanzend seine Erfahrungen mit Choreographien von Trisha Brown oder William Forsythe nach, spürt noch einmal in sie hinein, demonstriert, wie es sich anfühlte, in einem Stück von Mats Ek oder Maurice Béjart Frédéric Tavernini zu sein. Soulier erklärt, während er spielt, die Bedeutungen von Taverninis Tätowierungen. Einfacher und eindringlicher kann der Tanz mit der ganzen Existenz eines Menschen nicht verschmelzen. Und doch ist alles so klar wie ausbuchstabiert. Wie kann man so viel fühlen, während man Bewegungen analysiert, fragt man sich, zutiefst berührt. Das ist Tanz. Das werden wir vermissen.

Die Tanzsparten der Theater und die freien Choreographen und Tänzer haben in den letzten Wochen und Monaten alle möglichen Szenarien durchgespielt, um in der neuen Saison für ihr Publikum dazu sein. Sie tanzten einsam vor leeren Rängen, nur für Kameras, um ihre Zuschauer per Livestream zu erreichen. Sie teilten sich in sogenannte Bubbles ein, Zehnergruppen, in denen trainiert, geprobt und aufgeführt wurde. Würde das Virus in einer Bubble ausbrechen, so die Idee, könnten die anderen dennoch weiterarbeiten. Solisten zogen in eine gemeinsame Wohnung, um als ein Hausstand zu gelten und Pas de deux tanzen zu dürfen. In „Romeo und Julia“ hätte sonst die Balkonszene ein neues Ende bekommen müssen.

Tatsächlich schrieben manche Compagnien die Klassiker um, damit sie unter Coronabedingungen getanzt werden konnten, mit kleineren Ensembleszenen, mit mehr Abstand auf der Bühne, kürzer, ohne Pause. Die jungen choreographischen Talente unter den Tänzern erhielten an manchen Theatern nun die Gelegenheit, eigene Werke zu erarbeiten. So hatte das durch Corona verhinderte Einladen von Gastchoreographen aus aller Welt noch eine gute Seite – plötzlich taten sich mehr Chancen auf für neue Begabungen in den eigenen Reihen. Die gefeierte Internationalität der Tanzwelt macht es manchen freien Choreographen seit Monaten unmöglich, ihre Besetzung für Proben an einem neuen Stück zusammenzuholen: Einige sind Australierinnen, andere leben in New York, geprobt werden soll irgendwo in Europa – das kann man schon lange vergessen. Anders kann es gehen, wenn bereits existierende Choreographien neu in das Repertoire eines Hauses übernommen werden sollen. Eventuell wird der Choreograph aus Übersee per Zoom zugeschaltet, um mit den deutschen Tänzern zu proben.

Junge Künstler fürchten das Vergessen

Für „Hypothetical Stream“, William Forsythes großartiges Stück von 1997, schickte der Choreograph damals per Fax abstrakte Skizzen voraus, die auf die barocke Kunst Tiepolos zurückgingen, und ließ die Tänzer damit arbeiten. Das war ein verspielter Ansatz, das damals vieldiskutierte Verschwinden des Autors zu inszenieren. Jetzt ist es ernst geworden mit dem Verschwinden der Choreographen. Damien Jalet hat sein neues Stück „Brise-lames“ („Wellenbrecher“) für das Ballett der Pariser Oper fertiggeprobt. Premiere des Abends mit noch weiteren neuen Werken von Sidi Larbi Cherkaoui, Tess Voelker und Mehdi Kerkouche sollte am 5. November sein. Vorgestern Abend ließ Jalet über Whatsapp wissen, dass der Abend verschoben werden musste.

Je länger unter Bedingungen der Maßnahmen gegen Corona gearbeitet werden muss, desto sicherer ist, dass manche langfristig geplante Produktion niemals wird stattfinden können. Zu groß ist der Berg ungespielter, nicht zu Ende geprobter oder gar nicht erst begonnener Projekte. Wer bereits einen Namen hat, kann ruhig sein und hoffen, nicht so schnell vergessen zu werden. Aber alle jungen Künstler, die gerade ihre ersten Chancen bekommen sollten, für sie wird es schwer, ihre Enttäuschung zu verkraften.

Und selbst Künstlern, die seit den siebziger Jahren inszenieren, fehlt der Prozess der Entstehung von etwas Neuem, auch sie vermissen es, in diesen Fluss des Schaffens einzutauchen, diesen Zustand von Konzentration und Erfindung, für den sie so viel mehr brauchen als Papier, Farbe und Leinwand oder einen Tisch mit einem Computer. Sie brauchen die Tänzer, das Studio, die Musik, das Licht, das Reden und das Taktauszählen. Wir erwarten ihre Rückkehr.

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