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#Was ist ein Anfang?

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Was ist ein Anfang?

Schaut nicht auf diese Stadt. Schaut nicht auf dieses Theater. Nicht auf seine Legenden, seine wahnhaften Leiden und falschen Liebeserklärungen. Stattdessen: Schaut auf diesen Vorhang. Diesen feuerroten, federleichten Stoff. Der sonst nie im Zentrum steht, von dem sonst nie erzählt wird. Hier ist er die Hauptperson. Erst hängt er verführerisch da, als Grenze unserer Wahrnehmung, als Entfesseler unserer Vorstellungskraft. Dann hebt und senkt er sich, beginnt zu fliegen, bildet viele kleine Zelte oder hüllt die ganze Bühne in ein sanftes Schweigen. Von einer Vielzahl von Ampelzügen gehalten, schwebt der von Leonard Neumann ausgewählte Stoff durch die Gegend. Ein Hauch von Nichts, eine Verheißung, auch ein Zugeständnis an die surreale Sachlichkeit: Plötzlich kommt unter ihm ein weißer Hase zum Vorschein und dreht sich verloren im Kreis.

Leonard ist der Sohn von Bert Neumann, dem früh verstorbenen Bühnenbildner, der hier am Haus ehemals so viele Abende zum Leuchten brachte. Also doch eine kleine Reverenz an die Vergangenheit. Aber mehr Reminiszenz kommt nicht. Keine bissigen Querverweise für Insider des Theatergeschehens, kein Anschluss an die lange Castorf-Ära, kein Absetzen von den fatalen Jahren des Interregnums: jetzt beginnt etwas Neues. Aber das geschieht ohne großes Tamtam, ohne Feuerwerk. Bescheiden eröffnet der neue Intendant René Pollesch seine erste Spielzeit an der Berliner Volksbühne. Fast so, als wollte er sagen: Ab jetzt wird es wieder einfach und ehrlich. Kein Größenwahn. Wir bleiben bei unseren Leisten.

Gewitzte Diskursdaddeleien

Links und rechts neben dem Portal sind in riesenhafter Vergrößerung die schönen Porträtfotografien von zwei Zirkusartisten aufgestellt: links eine Dompteurin im Glitzerkleid, einen Blumenstrauß in der Hand, den Blick erwartungsvoll geradeaus gerichtet. Rechts ein Seiltänzer im Bademantel, lehnt lässig gegen eine gespannte Leine, die Hand im Nacken, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Das sind die Idole des Abends, die Portalfiguren der neuen Spielzeit. Zurück zum Zirkus, lautet das Motto, zur glücklichen Verwandlungslust, zum angeblich vorpolitischen Anfang. „Was aber ist ein Anfang?“ Die Frage wiederholt sich an diesem schlicht-schönen, von keiner gegenwärtigen Mode beeindruckten Abend. Denn die Mode, das war Pollesch ja lange selbst, mit seinen gewitzten Diskursdaddeleien und ironischen Fragmentfarcen. Kapitalismuskritik für spätbürgerliche Akademiker mit Sinn für das postdramatische Entzauberungsspiel.

Margartia Breitkreiz in René Polleschs Eröffnungsabend


Margartia Breitkreiz in René Polleschs Eröffnungsabend
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Bild: Christian Thiel

Jetzt ist der Zeitgeist an ihm vorübergegangen und hat auch ihn zum alten Mann erklärt, der nun sogar in der früher so verhassten Position des Machthabers gelandet ist. Aber anstatt sich dafür zu entschuldigen und anzubiedern an den nivellierenden Theatergeschmack derer, die draußen protestierend vor seinem Haus stehen (die „Volksbühnenbesetzer“ gibt es noch, sie haben sich inzwischen mit den „Querdenkern“ vereinigt) und auch im Publikum sitzen, den „jungen Leuten mit grauen Haaren, auf alt geschminkt“, fragt Pollesch nach dem, was lange schon passé erscheint: der Schönheit der Kunst.

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