Nachrichten

#Den Frosch kochen

„Den Frosch kochen“

Die Frage, ob Waffenlieferungen an die Ukraine den Westen in den Krieg hineinziehen könnten, beschäftigt die Politik nicht erst, seit über Kampfpanzer diskutiert wird. Vor allem der amerikanische Präsident hat hier immer wieder Vorsicht erkennen lassen. Ende Mai, als es noch vornehmlich um Artillerie ging, legte Biden seine Grundsätze in einem Meinungsbeitrag für die „New York Times“ dar.

Solange die Vereinigten Staaten oder ihre Verbündeten nicht angegriffen würden, werde man sich nicht direkt an dem Konflikt beteiligen – „weder durch die Entsendung amerikanischer Truppen zum Kampf in die Ukraine noch durch Angriffe auf russische Truppen“. Außerdem hielt er fest: „Wir ermutigen oder befähigen die Ukraine nicht dazu, Schläge jenseits ihrer Grenze zu führen.“

Diese beiden Festlegungen prägen die amerikanische und damit die gesamte westliche Militärhilfe für Kiew bis heute. Weil keine westlichen Soldaten in die Ukraine geschickt werden, muss das ukrainische Personal im Ausland an den westlichen Waffen geschult werden, was die Sache langwieriger macht. Und weil Biden verhindern will, dass Russland mit westlichen Waffen angegriffen wird, hat er zum Beispiel die Reichweite des gelieferten Mehrfachraketenwerfers HIMARS auf 80 Kilometer beschränkt, obwohl es Munition mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern gibt. Das bedeutet weniger Kampfkraft für die Ukraine. Offenbar herrscht in Washington in dieser Frage Misstrauen in die ukrainische Führung.

Putins Kalkül lässt sich beeinflussen

Damit allein ist es allerdings nicht möglich, russische Gegenmaßnahmen auszuschließen. Von Kriegsbeginn an war man sich im Westen bewusst, dass Angriffe auf westliche Lieferungen eine Option für Russland sind. Fänden sie auf NATO-Gebiet statt, dann müsste die Allianz über den Bündnisfall entscheiden, also einen Kriegseintritt in Betracht ziehen. Letztlich ist es eine Frage, wie der russische Präsident kalkuliert: Ist der Schaden für ihn höher, wenn er westliche Waffenlieferungen hinnimmt, oder wenn er versucht, sie militärisch zu stören?

Diese Rechnung lässt sich beeinflussen, und das versucht die westliche Strategie im Wesentlichen mit zwei Mitteln. Das erste betrifft die Kampfkraft der Waffenlieferungen. Sie wurde nur schrittweise erhöht, von tragbaren Lenkwaffen über Haubitzen und Raketenwerfer bis zur aktuellen Debatte über Kampfpanzer. Für Putin stellte sich jedes Mal aufs Neue die Frage, ob ihm der jeweilige Zuwachs der ukrainischen Schlagkraft so bedrohlich erschien, dass er deswegen eine direkte Auseinandersetzung mit dem Westen eingehen würde. Amerikanische Regierungsvertreter nannten dieses Vorgehen einmal „den Frosch kochen“ – in Anlehnung an die Geschichte eines Frosches, der sofort aus dem Topf hüpft, wenn man ihn in kochendes Wasser setzt, nicht aber, wenn das Wasser nur langsam erhitzt wird.

Waffen liefern und geschlossen handeln

Das andere Mittel ist westliche Geschlossenheit. Die Waffenlieferungen erfolgten zwar nicht immer gleichzeitig, aber in der Regel abgestimmt. Das gab Putin weniger Möglichkeit, gezielt einzelne Länder anzugreifen, die zu Alleingängen bereit waren, und damit das westliche Bündnis zu spalten. Dass das keine theoretische Debatte ist, zeigte sich schon zu Beginn des Krieges. Im März wollte Polen Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern, zur Rückversicherung aber über einen amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Deutschland. Das lehnte die amerikanische Führung öffentlich ab, worauf Warschau den Vorstoß fallen ließ.

Der Vorgang warf früh ein Licht auf ein Dilemma, vor dem nicht nur Polen steht. Im Grunde ist jedes europäische NATO-Mitglied auf die Billigung seines Kurses durch Washington angewiesen, weil Europa sich nicht selbst gegen Russland verteidigen kann. Die Beistandspflicht im NATO-Vertrag ist unspezifisch; politisch wäre der Umgang mit einem russischen Angriff in jedem Mitgliedstaat eine schwierige Angelegenheit.

Dass man in Amerika bereit wäre, in einen Krieg gegen Russland zu ziehen, um Waffenlieferungen zu decken, zu denen man selbst nicht bereit war, ist nicht gesagt. Durch ein abgesprochenes Vorgehen, wie es etwa durch die Waffenstellerkonferenzen in Ramstein erreicht werden soll, wird das Problem entschärft. Putin muss damit rechnen, dass ihm die gesamte NATO entgegentritt, sollte er zum Beispiel Waffenlager und -transporte in Polen oder Rumänien beschießen lassen.

Eine Rückkehr zur Realpolitik ist nötig

Dieses Vorgehen war insofern erfolgreich, als Russland den Krieg bisher nicht über die Ukraine ausgeweitet hat. Trotzdem kann niemand im Westen verlässlich sagen, ob Putin in dieser Frage rote Linien sieht und wo diese verlaufen würden. Militärisch betrachtet scheint es heute unwahrscheinlicher als zu Beginn des Krieges, dass er einen Angriff auf die NATO wagen würde.

Das russische Militär steht in der Ukraine bekanntlich stark unter Druck, eine neue Front weiter im Westen würde dessen Kräfte womöglich endgültig überfordern. Politisch könnte die Güterabwägung des Kremlherren anders aussehen: Je näher ihn die westlichen Waffenlieferungen einer Niederlage in der Ukraine bringen, desto größer ist für ihn die Gefahr eines Machtverlusts in Russland.

In der öffentlichen Debatte in Deutschland spielen diese Aspekte kaum eine Rolle. Das ist wahrscheinlich eine Folge davon, dass große Teile von Politik und Gesellschaft nach dem Kalten Krieg von Realpolitik nichts mehr wissen wollten. Ganz ausklammern kann man sie aber nicht, wie das Handeln der Bundesregierung immer wieder gezeigt hat. Auch der neue Verteidigungsminister wird sie nicht ignorieren können.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!