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#Denn sie fürchten das Virus nicht mehr

Denn sie fürchten das Virus nicht mehr

Es führt in der Pandemie nicht weit, sich die Deutschen als gespaltenes Volk vorzustellen: hier die vielen Vorsichtigen, dort die Minderheit der Covidioten. Ja, einige Unbelehrbare wollen nicht wahrhaben, dass und wie ihre Partys oder Paraden zu den erschreckenden Totenzahlen beitragen. Es gibt aber auch Abermillionen, die nur getan haben, was ihnen seit Monaten geraten wird: lernen, mit dem Virus zu leben.

Sie tragen also Masken, halten Abstand und bleiben oft zu Hause. Sie nehmen bisweilen aber Risiken in Kauf, dosiert nach bestem Wissen und Gewissen: wenn sie Kunden treffen oder in der Kantine den Mundschutz abnehmen; wenn sie auf die Enkel aufpassen oder an den dunklen Tagen des Jahres die ältere Verwandtschaft besuchen (nur ganz kurz!). Haben sie alle, um mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu sprechen, „ethisch kapituliert“?

Was sich für die Einzelnen noch lange nicht wie Freiheit anfühlt, summiert sich für die Gesellschaft zu einem großen Problem – und für die Politik. Kaum hatten Ministerpräsidenten und Kanzlerin es gewagt, den Bürgern so etwas wie Planungssicherheit für die Weihnachtstage zu schenken, sehen sich immer mehr zu neuer Härte gezwungen. In der Bevölkerung wächst der Wunsch nach einem „harten Lockdown“. Gewiss würde die Schließung von Kitas, Schulen und Geschäften die Infektionszahlen weiter senken. Doch die Hoffnung wirkt überzogen, dass man sich so Ruhe bis zur Impfung erkaufen könne.

Im März hatte Berlin Millionen Tote befürchtet

Erstens wird das Impfen länger dauern, als es der Schlussspurt im globalen Zulassungsrennen derzeit nahelegt. Zweitens läge das Ende strenger Beschränkungen diesmal im Winter, wenn sich das Leben nicht einfach ins Freie verlegen lässt. Vor allem aber ist viel von dem Schmierstoff verbraucht, der die „Maßnahmen“ im Frühjahr erst ihre volle Wirkung entfalten ließ: der Angst.

Man weiß heute viel mehr über Covid-19. Die Sterblichkeit ist geringer als befürchtet. Im März hatte ein Arbeitspapier des Bundesinnenministeriums mehrere Szenarien für Deutschland durchgespielt; im ungünstigsten kalkulierten die Autoren mit mehr als einer Million Toten bis Mai. Dass das Robert Koch-Institut acht Monate später „nur“ 19.000 Tote gezählt haben würde, ahnte man damals nicht, wenn man sich im Supermarkt vor Packungen fürchtete, die andere angefasst hatten. Die Bilder aus Bergamo nährten die Furcht.

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Umso besser, dass so viele Deutsche heute so viel mehr über die Infektionsgefahren wissen: Es befähigt sie zur Achtsamkeit. Weniger gut ist es, wenn die Dauer der Krise dazu führt, dass mürbe gewordene Bürger nachlässig werden. Richtig gefährlich wird es für das Land, wenn das zu viele gleichzeitig tun, weil Weihnachten ist. Problematisch ist auch, dass die Gefahr von Langzeitschäden bei milden Covid-Verläufen abstrakter bleibt als das im Bekanntenkreis erlernte Gefühl, dass junge Leute eine Covid-Infektion meist gut durchstehen. Schon gar nicht darf die Politik annehmen, dass die Bürger ihre Sinne für das exponentielle Wachstum geschärft hätten. Ob sich von 100.000 Einwohnern fünfzig oder 200 infiziert haben, mag intuitiv ähnlich beherrschbar wirken. Ist es aber nicht.

Wo die Politik im Dunkeln tappt

Die Politik hat mit den Bürgern viel gelernt – aber in mancher Hinsicht tappt sie im Dunkeln. Nur ein Sechstel der Infektionen konnte zuletzt einem Ausbruchsherd zugeordnet werden. Die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen ist daher kaum zu kalkulieren. Das erschwert die Begründung. Zumal nicht zugegeben wird, dass die Regeln auf unterschiedlichen Ebenen wirken sollen. Nur manche dienen direkt dazu, Infektionsherde unschädlich zu machen: Wer Bars schließt oder alkoholisiertes Silvester-Böllern verbietet, der vermeidet virologisch brenzlige Situationen.

Von anderen Maßnahmen verspricht sich die Politik indirekte Wirkungen: Die Beherbergungsverbote etwa gingen nicht auf Infektionen in Hotels zurück, sondern sollten das Reisen an sich unterbinden. Andere Auflagen haben vor allem Signalcharakter. Museen etwa waren kaum Virenschleudern, aber ihre Schließung war eine Botschaft: Die Lage ist ernst, bleibt zu Hause!




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In Naturkatastrophen zählt es an sich zu den Aufgaben der Politik, Zuversicht zu verbreiten. Angst zu schüren sollte ihr Geschäft jedenfalls nicht sein. Zum Glück hat die Bundesregierung nie den Rat aus jenem Papier des Innenministeriums vom März befolgt, Urängste vor dem Erstickungstod zu schüren oder Familien das Leid von Kindern auszumalen, die ihren Eltern beim selbigen zusehen müssten. Söders Appell, die Gestorbenen und die Sterbenden nicht zu vergessen, gehört nicht in diese Kategorie. Doch auch er droht im kommunikativen Dauerfeuer der Corona-Politik zu verpuffen.

Der Kampf gegen die Abstumpfung ist für die Politik kaum zu gewinnen, schon gar nicht mit einer weiteren Krisensitzung im Bundeskanzleramt. Die Sehnsucht mancher Bürger nach einer Basta-Ansage ist verständlich. Doch die Frage, wie viele Tote sie in Kauf nimmt, kann die freie Gesellschaft nicht an die Regierungen abtreten. Jeder Bürger entscheidet mit, jeden Tag.

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