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#Hetze und Hass gegen syrische Geflüchtete nehmen zu

„Hetze und Hass gegen syrische Geflüchtete nehmen zu“

Spätestens im Juni 2023 finden in der Türkei kombinierte Parlaments- und Präsidentenwahlen statt. Der Vorwahlkampf hat längst begonnen, und zu den Leidtragenden drohen die mehr als vier Millionen in die Türkei geflüchteten Syrer zu werden. Laut Umfragen ist harte Rhetorik gegen sie bei der Wählerschaft beliebt.

Michael Martens

Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.

Suat Kiniklioglu, ein einstiger Abgeordneter der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der im Unfrieden von der Bewegung schied, hat schon 2020 darauf aufmerksam gemacht.

Die türkische Gesellschaft habe etwa so viele Geflüchtete aufgenommen wie der EU-Staat Kroatien Einwohner hat und damit eine große Leistung vollbracht, schrieb Kiniklioglu in einem von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ veröffentlichten Papier anerkennend. Er warnte aber auch: „Viele Meinungsumfragen bestätigen einen starken Rückgang der Unterstützung für die Aufnahme von Flüchtlingen.“

Opposition will Syrer zurückschicken

Die ultranationalistische Oppositionsführerin Meral Aksener verglich syrische Geflüchtete in der Türkei unlängst mit „Müll“ und versprach für den Fall einer Beteiligung an der Macht, dass bis September 2026 alle die Türkei verlassen haben werden – freiwillig oder unfreiwillig. Dies müsse schon deshalb geschehen, um die „demographische Zusammensetzung und die türkische Identität“ des Landes zu schützen.

Syrerinnen haben eine höhere Geburtenrate als Türkinnen, was in der türkischen Bevölkerung von mehr als 80 Millionen Ängste auslöst, im eigenen Land zur Minderheit zu werden. Aksener will Syrern den Zutritt zu Parks und Stränden verbieten, ihnen staatliche Leistungen entziehen, sie in Lager sperren. Das soll laut türkischen Medienberichten jedenfalls ein Strategieplan ihrer Partei vorsehen, die sich „Gute Partei“ nennt. Zunächst ist eine freiwillige Rückkehr nach Syrien vorgesehen, in Kooperation mit dem syrischen Diktator Assad.

Die EU soll dafür zahlen, indem sie die Infrastruktur in Syrien wieder aufbaut. Wer nicht freiwillig geht, soll abgeschoben werden. Akseners Rhetorik wird auch dadurch befördert, dass eine kleine Abspaltung von ihrer Partei noch radikaler auftritt.

Erdogan zu Verhandlungen mit Assad bereit

Die größte Kraft der Opposition, die „Republikanische Volkspartei“, verfolgt ähnliche Pläne wie Aksener, nur dass ihr Vorsitzender Kemal Kilicdaroglu von einer freiwilligen Rückkehr spricht. Auch in seiner Partei ist offener Rassismus gegen die syrische Flüchtlingsbevölkerung in der Türkei akzeptiert bis karrierefördernd. Erdogans Juniorpartner Devlet Bahceli von der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ hetzt ohnehin gegen alles Nichttürkische.

Wichtiger noch ist, dass sich auch Erdogan selbst, der in dieser Frage lange einen gemäßigten Kurs verfolgte, dem Diskurs nicht mehr entzieht. Er, der zu Beginn des Krieges in Syrien noch einen Sturz Assads als Kardinalziel ausgegeben hatte, zeigt sich nun bereit zu Verhandlungen mit dem syrischen Diktator, auch über die Abschiebung von Geflüchteten.




Schon bei einem Besuch in Belgrad im vergangenen Jahr sprach sich sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu für einen „Kompromiss“ zwischen dem Assad-Regime und der (von der Türkei unterstützten) syrischen Opposition aus.

Die Hetze schlägt sich im Alltag nieder

Die Hetze schlägt sich längst auch im Alltag nieder. Anfang September wurde in Antakya ein 17 Jahre alter Syrer von einer wütenden Menge erstochen, nachdem er (soweit die Berichte) eine Türkin an der Schulter berührt hatte. Das Opfer habe gute Schulnoten gehabt und ein Medizinstudium angestrebt, hieß es weiter. Im Juni wurden zwei syrische Jugendliche in Istanbul getötet. Morde bleiben aber eine seltene Ausnahme.

Angesichts der vier Millionen Menschen aus Syrien, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben, funktioniert die Aufnahme insgesamt zwar immer noch gut. Doch klagen viele Syrer über alltägliche Beschimpfungen und Drohungen, auch gegen ihre Kinder in der Schule.

Syrische Geschäftsinhaber haben Angst vor Überfällen. Selbst in der südlichen Millionenstadt Gaziantep, die als Beispiel gelungener Integration der Syrer gilt und von massiven Investitionen syrischer Geschäftsleute profitiert, kommt es inzwischen häufiger zu Zwischenfällen.

Sündenbock für wirtschaftliche Nöte 

All das spielt sich vor dem Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung ab. Syrer, die oft für geringste Löhne arbeiten müssen, werden im Billiglohnsektor von Einheimischen als Konkurrenz betrachtet. Zwar ist die türkische Wirtschaft im vergangenen Jahr um (nur scheinbar eindrucksvolle) elf Prozentpunkte gewachsen und legte auch im ersten Quartal 2022 um mehr als sieben Prozentpunkte zu.

Das geht aber zumindest partiell auf ein Strohfeuer zurück, da sich Teile der Bevölkerung auf Sachwerte stürzte, um Vermögen vor der exorbitanten Inflation zu retten. Insbesondere die Teuerung bei Grundnahrungsmitteln (Brotpreise haben sich binnen eines Jahres mehr als verdoppelt) machen den unteren Einkommensklassen bis in die Mitte hinein zu schaffen.

Dass sich Menschen nach Sündenböcken umsehen, wenn das Portemonnaie ein Loch hat, ist kein türkisches Alleinstellungsmerkmal. In der Türkei trifft die Wut vor allem Syrer, obwohl die unter dem Preisauftrieb mindestens ebenso leiden.

Trotzdem hat die Entwicklung in der Türkei bisher nicht dazu geführt, dass sich eine hohe Zahl von Syrern über die „Balkanroute“ zwischen Griechenland im Süden sowie Österreich und Ungarn im Norden auf den Weg gemacht hat. Daten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen in Griechenland belegen konstant niedrige Ankunftszahlen von Syrern. Sollte im kommenden Jahr die türkische Opposition an die Macht gelangen und ihre Versprechen umsetzen, könnte sich das aber ändern.

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