#Der China-Erklärer geht
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Es ist dunkel, wenn Jörg Wuttke in diesen Tagen abends durch seine Wohnanlage im Pekinger Nordosten nach Hause rollt. Späte Arbeitsstunden ist der Mann gewohnt. Als Manager ist er seit Ende der Achtzigerjahre im Reich der Mitte, von einer kurzen Auszeit abgesehen, nachdem ihm während des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 in seinem Büro die Kugeln um die Ohren geflogen waren.
In China wurde schon immer etwas länger und wohl auch etwas härter gearbeitet als anderswo. Neben seinem Job als Cheflobbyist des deutschen Chemiegiganten BASF war Wuttke zudem als Präsident der Europäischen Handelskammer der Mann, der zu fast jeder Tages- und Nachtzeit ausländischen Korrespondenten sowie Politikern aus Europa und den USA das rätselhafte Gebaren seines Gastlands erklärt hat.
Der Unterschied zu früheren Jahren ist, dass in vielen der schicken Villen nun abends kein Licht brennt, wenn Wuttkes Limousine durch die Wohnanlage gleitet. Er weiß, warum. Viele Bewohner haben es ihm gesagt. Die Unternehmer und Investoren, die Banker und viele Manager haben das Land verlassen. Und bald zieht auch Wuttke weg. Seine Amtszeit als Kammerpräsident hat vor zwei Wochen geendet. Für BASF bleibt er noch ein Jahr im Land. Dann will er woandershin. Am liebsten in die USA. Für manch einen der Ausländer im Land fühlt sich das an, als gingen in China tatsächlich die Lichter aus.
Keine ruhige Minute
Zum Lunch hat Wuttke in eines seiner Lieblingsrestaurants geladen, das „Tavola“ im Pekinger Stadtbezirk Chaoyang. Gegenüber liegt das „Four Seasons“-Hotel, wo er gern Journalisten zum Frühstück trifft. Nebenan ist die Deutsche Auslandshandelskammer beheimatet. Die Deutsche Botschaft ist ein paar Autominuten entfernt. Kaum hat sich Wuttke hingesetzt, muss er auch schon wieder aufstehen. „Ich habe gehört, Sie gehen?“ Ein Anwalt steht vor dem Tisch. Nein, er bleibe noch ein Jahr, muss sich Wuttke erklären. Seit ein Berliner China-Newsletter gegen seinen Willen den Eindruck erweckt hat, er verlasse das Land sofort, hat er keine ruhige Minute mehr.
China ohne Wuttke, das ist eigentlich kaum vorstellbar. Parteichef Xi Jinping lässt sich für weitere fünf Jahre im Amt bestätigen? Die Journalisten von New York Times, Economist und F.A.Z. rufen Jörg Wuttke an, um zu fragen, was das für die zweitgrößte Wirtschaft bedeutet. Wuttke spricht über Xi Jinpings Hass auf Amerika und die Folgen eines Angriffs auf die Insel Taiwan. Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Nachmittag des 6. April in der Pekinger Großen Halle des Volkes mit Emmanuel Macron den chinesischen Staatsführer trifft und ihn drängt, im Ukrainekrieg seinen Einfluss auf Putin zu nutzen, hat sie sich zuvor am Morgen darüber unterrichten lassen, dass China in Wahrheit viel abhängiger von Europa ist als andersherum – natürlich aus dem Munde Wuttkes.
Politiker und Journalisten lieben den Kammerchef, weil er Klartext spricht. Nachdem sich China nach Ausbruch des Coronavirus von der Welt abkapselte und alle Flughäfen schloss, berichtete er, wie in Peking die Menschen fluchtartig den Aufzug verließen, sobald seine Frau mit seinen drei blonden Söhnen einstieg. Als Alibaba-Gründer Jack Ma nach einer kritischen Rede von der Staatspropaganda nahezu hingerichtet wird, lässt Wuttke keinen Zweifel daran, dass Xi Jinping seiner Meinung nach den Reichen an den Kragen gehe. Den monatelangen Lockdown in Schanghai, „Chinas bester Stadt“, kommentiert Wuttke mit den Worten, die Volksrepublik sei im „Selbstzerstörungsmodus“. Die zweitgrößte Wirtschaft wird Amerika bald überholen, so wie von vielen selbst ernannten Experten im Ausland jahrelang vorausgesagt? „Garantiert nicht.“
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