Nachrichten

#Der Gott des Gefühls kleiner Leute

Wenn auf dem Friedhof die Toten miteinander sprächen, was wäre ihr Thema? Natürlich das Leben. Robert See­thaler schnitzte aus dieser Konstellation 2018 seinen Roman „Das Feld“, der aus neunundzwanzig Perspektiven von den Schicksalen einer fiktiven Kleinstadt erzählt: „Als Lebender über den Tod nachdenken. Als Toter vom Leben reden. Was soll das? Die einen verstehen vom anderen nichts“, heißt es da über eine Welt, in der es keine Transzendenz und keinen Glauben an ein Jenseits mehr zu geben scheint.

Sandra Kegel

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton.

Seethaler hat das Talent, Charaktere und Landschaften ganz ohne Geschwätz oder Schwerfälligkeit zu erzeugen in der für ihn so typisch entschlackten und schnörkellosen Sprache. Wie schon in seinem Bestseller „Ein ganzes Leben“, der 2014 auf der Shortlist des Internationalen Booker Prize stand, verbindet er realitätsgesättigte Präzision gern mit stilistischer Enthaltsamkeit. Auf nur 150 Seiten por­trätiert er da tatsächlich das ganze Leben eines hinkenden Tagelöhners, der kaum je sein Tal verlassen hat. Wie durch ein Vergrößerungsglas schaut der 1966 in Wien geborene und seit vielen Jahren in Berlin lebende Schriftsteller auf die Mikrokosmen solch vermeintlich kleiner Welten.

Literarischer Kniff wie bei „Der Trafikant“

Nach seinem jüngsten literarischen Ausflug mit Gustav Mahler auf einem Ozeandampfer nach New York („Der letzte Satz“, 2020) kehrt Seethaler in seinem neuen Roman räumlich und stofflich zu seinen Anfängen zurück. Die Zeit ist zwar eine andere als in seinem frühen Überraschungserfolg „Der Trafikant“ von 2012 über die fiktive Begegnung eines Landburschen vom Attersee mit Siegmund Freud im Wien der Wendejahre 1937/38. „Das Café ohne Namen“ spielt in der Wiener Nachkriegszeit, doch der literarische Kniff ist ähnlich. Denn so, wie „Der Trafikant“ nicht zuletzt daraus Effekte erzielt, dass er auf das historische Bewusstsein des Lesers spekulierend gar nicht erst groß auf den Horror zu sprechen kommt, auf den Wien, Europa und ja die ganze Welt zusteuert, hält sich auch der allwissende Erzähler im „Café ohne Namen“ mit An­spielungen auf diese hier noch so beißend nahe Vergangenheit zurück.

Mit dem Wiener Kaffeehaus freilich hat das titelgebende Café nichts gemein. Es ist ein schlichtes, in die Jahre gekommenes Gasthaus, das neben Kaffee, Tee und Himbeersoda vor allem Alkohol und Schmalzbrote kredenzt. Und auch die Kundschaft ist so weit entfernt vom bürgerlichen Wiener Kaffeehausbesucher, der als Romanschreiber oder Ministerialrat über die Welt philo­sophiert, wie jedenfalls damals noch der erste vom zweiten Wiener Gemeinde­bezirk, wo der Roman angesiedelt ist.

Porträt eines bestimmten Wiener Milieus

Seethalers Charaktere sind seit je wortkarg, die sich oftmals keinen Reim auf sich und die Geschicke ihres Lebens machen können. Dabei steht ihnen hier aufs Neue auf die Stirn geschrieben, wie sehr sie noch immer unter dem traumatischen Eindruck stehen von dem, was gerade einmal zwanzig Jahre zurückliegt. Dreh- und Angelpunkt des „Trafikanten“ war die von einem Kriegsinvaliden (des Ersten Weltkriegs) geführte Tabaktrafik. Hier ist das Café zentraler Schauplatz und Kreuzungspunkt bisweilen irrlichternder Figuren. Eröffnet hat es der Gelegenheitsarbeiter Robert Simon 1966 am Karmelitermarkt, damals eine der ärmsten und schmutzigsten Gegenden Wiens, in der die Schutthalden des Kriegs noch immer nicht abgetragen und Vierteltelefonanschlüsse eine Seltenheit sind. Der einunddreißigjährige Simon, Un­termieter einer Kriegerwitwe, spürt „das Pochen in seinem Herzen“, als er den staubigen Gastraum mit den welken Tapeten zum ersten Mal betritt.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!