#Der letzten Zigarrenmanufaktur Hessens droht das Aus
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„Der letzten Zigarrenmanufaktur Hessens droht das Aus“
Der Geruch von Tabak liegt in der Luft. In den Büros darf geraucht werden. Mehr noch: Rauchen ist ausdrücklich erwünscht, wie ein Aufkleber am Chefbüro verkündet. In der hintersten Ecke des Firmengeländes von Rinn & Cloos in Heuchelheim bei Gießen residiert die Zigarrenmanufaktur Don Stefano. Steffen Rinn, 80 Jahre alter Enkel des einstigen Firmengründers Ludwig Rinn, hat hier ein kleines Unternehmen aufgebaut, die einzige noch verbliebene Zigarrenmanufaktur Hessens.
In den verwinkelten Räumen werden, teilweise per Hand, Zigarren selbst hergestellt, aber auch Produkte von anderen Unternehmen aus Mittelamerika vertrieben. Doch die Zigarrenproduktion, die ohnehin eine Nische im Genussmittelsektor innehabe, sei jetzt bedroht, existenziell bedroht, wie Rinn unmissverständlich feststellt.
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Individuelles Erkennungs- und Sicherheitsmerkmal
Eine neue EU-Richtlinie zur Rückverfolgung von Tabakprodukten schwebe wie ein Damoklesschwert über der Branche, heißt es aus dem Unternehmen. Nach dem Willen der EU soll jede Verkaufs- und Umverpackung ein individuelles Erkennungs- und Sicherheitsmerkmal bekommen, wie beispielsweise eine Seriennummer oder einen QR-Code. Damit soll der Warenweg jeder Zigaretten- oder Zigarren-Schachtel innerhalb der gesamten EU transparent nachweisbar gemacht werden. Die Politik möchte mit dieser Regelung den Schmuggel unterbinden. Nach den Zahlen des Deutschen Zigarettenverbandes wurden etwa 2019 14,8 Milliarden Zigaretten in Deutschland geraucht, die nicht hier versteuert worden seien. Wohlgemerkt: Zigaretten, nicht Zigarren.
Denn der Nachfahre der großen Zigarrendynastie in Heuchelheim, dessen Großvater und Vater einst bis zu 5000 Menschen beschäftigt haben, sieht sich und sein Unternehmen mit dieser EU-Vorgabe vor eine schier unlösbare finanzielle Aufgabe gestellt. Seines Wissens seien 2018 nur 98 geschmuggelte Zigarren von den Zollbehörden sichergestellt worden. „Zigarren sind vollkommen uninteressant für Schmuggler“, sagt Rinn. Dafür sei das Geschäft viel zu klein, viel zu unbedeutend, als dass es sich für einen Schmuggler lohne.
„Höchst ärgerlich“
Anders gesagt: Man schieße mit bürokratischen Kanonen auf Spatzen. „Wir werden hier für eine Sache bestraft, die uns noch nicht einmal betrifft“, sagt Rinn. Es sei „höchst ärgerlich, dass man uns so in Not bringen muss“, fügt er hinzu. Denn der Unternehmer fürchtet durch diese neue Verordnung den „Todesstoß“ für sein Unternehmen. In einem ersten Schritt müsste er ein IT-Unternehmen beauftragen, das für die notwendigen Programme etwa 120.000 bis 150 .00 Euro in Rechnung stelle. Darüber hinaus müsste langfristig eine weitere Kraft eingestellt werden. „Das Geld haben wir einfach nicht“, sagt Rinn, der von einem niedrigen siebenstelligen Umsatz berichtet.
Neue EU-Verordnung
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Der letzten Zigarrenmanufaktur droht das Aus
Noch bis 2024 haben die Zigarrenmanufakturen eine Übergangsfrist zugebilligt bekommen. Derzeit prüft Rinn, Alternativen anzustoßen. „Wir versuchen, mit zwei weiteren Manufakturen zusammenzuarbeiten, um uns die Kosten zu teilen.“ Er könnte sich aber auch vorstellen, bei einem größeren Unternehmen Anschluss zu finden. Und wenn das alles nicht greift? „Dann ist der Exitus programmiert“, sagt Rinn.
Doch noch möchte Steffen Rinn nicht an das Ende seiner kleinen Manufaktur glauben. Noch streift er durch die Produktionsräume und erzählt von seinem Großvater, dessen Porträt in seinem Büro hängt. 1895 habe dieser im Alter von 25 Jahren das Unternehmen gegründet. „Er hat eine glückliche Hand bewiesen“, erzählt Rinn. Auch sein Vater und sein Onkel sind in das Geschäft mit dem Tabak aus Sumatra, Java, Brasil, Cuba oder Deutschland eingestiegen. Durch viele Schicksalsschläge haben seine Vorfahren das Geschäft geführt, haben den Tod des Onkels und die Zerstörungen infolge des Zweiten Weltkriegs überstanden.
Doch irgendwann sei das Geschäft nicht mehr zu halten gewesen. Steffen Rinn war damals 50 Jahre alt. Was sollte er tun? Er gab forthin Seminare rund um das Thema Tabak, bildete selbst Außendienstleute aus. Doch 1993 wollte er es noch einmal wissen. „Wenn man einmal Freundschaft mit Tabak geschlossen hat, dann ist man verliebt“, lacht Rinn. Und so hat er Don Stefano gegründet. In Anlehnung an seinen Vornamen und weil der Tabakmarkt viele spanische Wörter verwendet. Seither verzeichne das Unternehmen „schöne Zuwächse“, weil zu den älteren Abnehmern auch immer wieder jüngere Leute hinzukämen.
Gelagert, getrocknet und wieder auseinandergezupft
Auch er selbst genieße zweimal am Tag eine Zigarre. „Das waren früher auch mehr, aber man muss ja ein bisschen auf seine Gesundheit achten“, sagt der agile Unternehmer. Deshalb steht auch sein Fahrrad am Eingang, mit dem er morgens ins Büro geradelt kommt. Er zeigt der Besucherin die Lieferungen verschiedener Tabaksorten, die, je nach Herkunftsland, in Bambusgeflecht, Palmblättern oder Jutesäcken verschifft wurden.
An anderer Stelle werden Tabakblätter befeuchtet, zusammengebunden, gelagert, getrocknet und wieder auseinandergezupft – alles in Handarbeit. Rinn könnte vermutlich nicht glücklicher aussehen, wenn er jeden einzelnen Mitarbeiter begrüßt und die Besucherin vorstellt. Nur in einem Nebensatz klingt, neben dem Ärger über die neue Verordnung, auch ein bisschen Wehmut mit. Als er seinen Sohn erwähnt, der im Don-Stefano-Vertrieb tätig sei. Ihm würde er gerne sein Geschäft übergeben. Wenn es noch etwas zu übergeben gibt.
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