#Der Lockdown macht die Psyche krank
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„Der Lockdown macht die Psyche krank“
Die Anspannungen in der Corona-Pandemie und im Lockdown belasten das seelische Gleichgewicht der Bevölkerung immer stärker. „Wir beobachten eine deutlich steigende Nachfrage in unseren Praxen“, sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung, Gebhard Hentschel, in einem Gespräch mit der F.A.Z. Das zeige sich zum Beispiel in der Zunahme von Videositzungen, welche die Psychotherapeuten seit der ersten Welle im vergangenen Frühjahr abrechnen dürfen. Im ersten Lockdown hätten 77 Prozent der Praxen dieses neue Instrument eingesetzt, später sei das Interesse daran wieder abgeflaut. „Aber jetzt nimmt das Verfahren wieder Fahrt auf“, berichtet Hentschel.
Um den coronabedingten Andrang genauer zu messen, organisiert der Verband von dieser Woche an eine Blitzumfrage zum Anstieg der Fallzahlen. Erste Ergebnisse sollen in zehn Tagen vorliegen. Die Vereinigung vertritt 14.000 Mitglieder, die meisten von ihnen sind niedergelassene Psychotherapeuten. Ihre Praxen sind weiterhin geöffnet, und Hentschel ist auch überzeugt, dass der persönliche Kontakt mit den Patienten der „Goldstandard“ ist. Aber viele Ratsuchende trauten sich aus Furcht vor Ansteckung derzeit nicht in den öffentlichen Raum oder in den Nahverkehr und bevorzugten deshalb die Online-Therapie.
In der dunklen, kalten und nassen Jahreszeit nähmen die Fallzahlen ohnehin zu, etwa depressive Störungen, sagt Hentschel, „aber die Nachfrage jetzt geht darüber hinaus, vor allem von Kindern und Jugendlichen“. Hentschel arbeitet selbst als psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut in Münster. Er weist darauf hin, dass „Corona“ nicht nur neue Störungen zutage fördere, sondern auch in laufenden Therapien eine große Rolle spiele. „Psychisch Erkrankte sind besonders anfällig für die Auswirkungen des Lockdowns, die Abschottung kann ihr Leiden verstärken.“
Doppelbelastung für Eltern
Die Doppelbelastung aus Homeoffice und Homeschooling laste auf Eltern und vor allem auf Alleinerziehenden. Kinder und Jugendliche litten unter dem Wegfall außerschulischer Aktivitäten wie des Sports oder des Vereinslebens. Es gebe Studien zur Zunahme des Alkohol- und des Rauschgiftmissbrauchs in der Pandemie. Die Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“ berichte von mehr häuslicher Gewalt. Ob es auch zu mehr Suiziden kommt, gilt noch als unklar.
Viele Menschen haben Hentschel zufolge mit finanziellen Sorgen aus Jobverlust, Kurzarbeit oder eingeschränkter Selbständigkeit zu kämpfen und kommen deshalb zur Behandlung. Viele drückten Schulden, etwa nach einem Hauskauf. „Da kann dann die ganze Welt ins Wanken geraten.“ Eine dritte Gruppe von seelisch Belasteten seien Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen.
Noch gingen sie selten zur Therapie, auch weil sie sich zeitlich zu eingebunden fühlten. Aber Hentschel rechnet mit einer Fallzunahme nach Abflauen der Infektionswelle. Viele Traumatisierungen und Sekundärtraumatisierungen zeigten sich erst beim Nachlassen der Anspannung. Früheren Untersuchungen zufolge weisen Pflegekräfte während der Epidemie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung doppelt so häufig Symptome einer mittleren oder schweren Depression auf, auch Angstsymptome gibt es bei ihnen häufiger.
Der Psychotherapeut stellt klar, dass es keine „Corona-Störung“ gibt. Wohl aber durch die Pandemie ans Licht gebrachte krankheitswertige Störungen, etwa depressive Störungen, Angst- oder Zwangsstörungen. Es erzeuge Ängste, dass das Virus als unsichtbarer Feind erscheine. Die Gefahr, sich selbst zu infizieren oder für die Ansteckung von anderen verantwortlich zu sein, bereite ebenfalls Angst. Krankhafte Anlagen könnten verstärkt werden – etwa durch die erhöhten Hygieneanforderungen der Wasch- und Putzzwang. Die Kontaktbeschränkungen verschärften Schlaflosigkeit, das Grübeln und andere depressive Neigungen.
Sozialkontakte mit Distanz pflegen
Einen Hinweis auf derlei durch Corona ausgelöste oder verstärkte psychische Leiden könnte die Beobachtung an sich selbst oder an anderen liefern, den Alltag nicht mehr stemmen zu können. Etwa indem die fragliche Person morgens nicht mehr aufstehen wolle oder die Haushaltsführung vernachlässige. Neben oder anstelle einer Behandlung empfehlen Hentschel und sein Verband, möglichst viele Sozialkontakte in der Distanz weiterzupflegen, etwa über Videotreffen. Aktivitäten an der frischen Luft seien gut, zudem, aufgeschobene Dinge in Haushalt oder im Garten zu erledigen, etwa Fotoalben zu erstellen. In der Familie hülfen gemeinsames Kochen, Backen und Spielen.
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