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#Der Palast bestimmt, wie Journalismus aussieht

„Der Palast bestimmt, wie Journalismus aussieht“

Wir verlieren die jungen Leute. Da die Jüngeren, die uns doch besonders wertvoll sind, keine Zukunft mehr für sich im Land sehen, verlassen sie die Türkei. Der zuletzt für 2019 veröffentlichten Statistik zufolge waren 41 Prozent der ins Ausland abgewanderten rund 330.000 Personen zwischen 20 und 34 Jahre alt. Darüber hinaus gaben 76 Prozent der Gebliebenen an, hätten sie die Chance dazu, würden auch sie gehen.

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Mit der Abwanderung der Jungen schreitet die Verkarstung des Landes voran. Und unsere Hoffnung vergreist ein Stück mehr. Verdenken können wir es den jungen Emigranten nicht. Was sollten wir denn sagen? Laut Bericht von DISK, einer der größten Gewerkschaften im Land, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 41 Prozent. 38 von 100 jungen Leuten sind weder in Ausbildung noch in Lohn und Brot. Nur weil ich Ihnen diese Briefe schreibe, erreichen mich jede Woche etliche Anrufe mit der Frage: „Wie finde ich in Deutschland Arbeit?“

Und es geht nicht allein ums Brot. In anderen Bereichen machen den jungen Leuten die Maßnahmen, die die AKP ergreift, um sich bei ihren abspenstigen konservativen Wählern einzuschmeicheln, das Leben schwer. In den letzten Wochen kamen verstärkt Meldungen über weitere Verbote von Konzerten aus anatolischen Städten. Yoga im Park wird mit der Begründung untersagt, es schade dem Rasen. Junge Mädchen werden aus Cafés gejagt, weil sie kurze Hosen tragen. Bei solchen Skandalen schaut die Justiz bloß zu, geht es aber um die Beeinträchtigung von Kopftuchträgerinnen, wird sie unverzüglich wegen „Diskriminierung und Hassverbrechen“ tätig. Zudem unterstützt die herrschende Staatsräson Maßnahmen nach Art des Taliban-Regimes. So klassifizierte der stellvertretende Chefarzt eines staatlichen Krankenhauses Frauen, deren Kleidung Schultern und Beine frei lässt, als „Huren“. Natürlich bekam er keinen Rüffel, von einer Strafe ganz zu schweigen. Im Gegenteil, ein AKP-Abgeordneter stattete dem Arzt einen Solidaritätsbesuch ab und ließ sich in Umarmung mit ihm ablichten.

Bülent Mumay


Bülent Mumay
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Bild: privat

Angst, mit solchen Schritten junge Wählerinnen und Wähler zu vergrätzen, hat das Erdogan-Regime nicht. Umfragen belegen, dass die in den zwanzig Jahren der AKP-Herrschaft herangewachsene neue Generation ohnehin nicht für Erdogan stimmen wird. An den Wahlen im kommenden Jahr werden beinahe sieben Millionen Erstwähler teilnehmen. In der neuen Jugendstudie gab nur einer von fünf jungen Erwachsenen an, die AKP zu unterstützen. Die größte Oppositionspartei CHP kommt bei den Jungwählern auf 37 Prozent. Zählen wir die Stimmen der Jüngeren für die anderen Parteien des Oppositionsbündnisses hinzu, wird deutlich, warum Erdogan nicht länger auf die Jugend hofft. Stattdessen versucht er, auf die Jugend, die er nicht gewinnen kann, Druck auszuüben und seine islamistisch-konservative Stammwählerschaft zu beglücken. Doch diese Strategie ist nicht geeignet, den Stimmenschwund für ihn aufzuhalten. Der Schaden durch die Wirtschaftskrise sorgt für eine immer tiefere Kluft zwischen der konservativen Wählerschaft und der Regierung. Die Anzahl jener, die angeben, 2023 für Erdogan stimmen zu wollen, bleibt bei 34 Prozent. Ich darf daran erinnern, dass er 2018 mit 53 Prozent gewählt wurde. Der jüngsten Umfrage zufolge wollen hingegen 51,8 Prozent den Kandidaten der Opposition wählen, obwohl der noch gar nicht feststeht.

Mit einem großen Fragezeichen versehen

In meinen Briefen an Sie bemühe ich mich darum, das Geschehen in der Türkei zusammenzufassen und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Dabei habe ich mich hin und wieder getäuscht, doch einiges traf wie vorhergesagt ein. Verblüfft hat mich aber doch, dass ein ironisch gemeinter Satz von mir sich jetzt als Realität herausstellte. Vor rund zwei Jahren widmete Erdogan die Hagia Sophia in eine Moschee um, um sich bei den konservativen Wählern anzubiedern, die ihm infolge der Wirtschaftskrise den Rücken kehrten. Damals schrieb ich, Erdogans Versuch, die Mägen von Millionen mit der Hagia Sophia zu füllen, würde wenig nützen. „Habt ihr kein Brot, esst doch die Hagia Sophia!“, lautete damals mein Titel. Nun schauen Sie, was geschah: Vor ein paar Tagen wurde aufgedeckt, dass einige Besucher der nun als Moschee dienenden Hagia Sophia kleine Stücke aus Türen und Wänden brechen und sich in den Mund stecken, weil sie sie für „heilig“ halten!

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