Nachrichten

#Der Schmerzsucher

„Der Schmerzsucher“

Der 1952 im vorarlbergischen Dornbirn geborene Aktionskünstler, Musiker und Komponist Wolfgang Flatz, meist onomatopoetisch verkürzt auf FLATZ, führte zwar Zeit seines aktiven Provokateurslebens die Performances der Wiener Aktionisten der Sechziger fort. Viele seiner Arbeiten aber sind gespenstisch aktuell, so etwa „Demontage IX“ (1990/91) in der alten Synagoge von Tiflis zu einer im Zarenreich beliebten Foltermethode, die Delinquenten kopfüber als Glockenschwengel zu Walzerklängen zwischen Stahlplatten bis zur Ohnmacht hin- und her zu schleudern, eine durch den „Glockenklang“ pseudosakralisierte Barbarei, die Putins Truppen möglicherweise in der Ukraine auch heute wieder anwenden.

Wenn er sich minutenlang ohrfeigen, als Auslegeware betreten oder nackt mit Dartpfeilen bewerfen ließ, zog er autoaggressiv den eigenen Körper als Material heran, um im dadurch provozierten Abscheu oder der Angst die Augen und Sinne für das jeweilige künstlerische Anliegen zu schärfen. Im katholisch masochistischen Milieu von Wien und München (wo er seit 1975 lebt und arbeitet) – so klagten Kritiker – mag diese Kunst gedeihen, in nüchtern protestantischen Landstrichen dagegen nicht.

Brachiale Konfrontationstherapie gegen die Angst der Menschen vor der Begegnung mit Fleisch: Erst präsentierte sich Flatz im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg nackt und blutverschmiert an einem Kranhaken hängend, anschließend ließ er eine tote Kuh von einem Hubschrauber abwerfen.


Brachiale Konfrontationstherapie gegen die Angst der Menschen vor der Begegnung mit Fleisch: Erst präsentierte sich Flatz im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg nackt und blutverschmiert an einem Kranhaken hängend, anschließend ließ er eine tote Kuh von einem Hubschrauber abwerfen.
:


Bild: epd

Autoaggression als Sinnesschärfung

Doch selbst die sich als abgebrüht, zumindest jedoch als jeglicher katholischer Schmerzensschwärmerei vollkommen abhold empfindenden Prussen in der Hauptstadt vermochte Flatz im Jahr 2001 mit der Aktion „Fleisch“ zu schocken. Lange vor seiner Ankündigung, aus einem Hubschrauber in vierzig Metern Höhe und in Sichtweite zum Alexanderplatz eine – bereits tote! – Kuh in eine Baugrube künftiger Investorenarchitektur zu werfen, regte sich heftiger Protest über die angebliche Pietätlosigkeit dem Tier, vor allem jedoch wegen „seelischer Grausamkeit“ den Zuschauern gegenüber, obwohl der Künstler ja niemand zum Zusehen gezwungen hatte und genau auf dieses Missverhältnis der Menschen zum täglich Fleisch hinweisen wollte, das elementar zum Leben gehöre, doch tabuisiert und ausgeblendet werde. Einerseits erinnerte Flatzens Fleischschau so an die antike Tradition der Tieropferarbeit römischer Priester und Haruspices, wie der Künstler da alle Beistehenden aus den Organen und dem Leib des zerschmetterten Tieres die Zukunft lesen ließ (künftige „Tönnies“-Fleischskandale und Ähnliches mehr), obschon es in diesem Fall der aufziehenden Wokeness eher das Präsens war, das man sah. Andererseits hatte die Inszenierung mit der biblischen Helikopter-Heuschrecke, die das endzeitliche Rotoren- und Walkürenrittgeknatter aus „Apocalypse now“ zitierte, erneut einen Dreh ins Martialische der großen Kriegs-Fleischfriedhöfe.

Am Sonntag nun wird dieser stets schmerzsuchende Schmerzensmann siebzig Jahre alt.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!