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#Der Sound der Zwangsruhe

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Der Sound der Zwangsruhe

Im Frühjahr, als immer mehr Leute überall auf der Welt zu Hause saßen, kam als ein Versuch, der Sinnlosigkeit etwas abzutrotzen, die Hoffnung auf, in der Zwangsruhe der Isolation hätten jetzt zumindest Schriftsteller, Musiker und andere Kunstmenschen Zeit, um in ihren Schlafzimmern und Kellerstudios die große Kunst zu machen, von deren Erschaffung die stressigen Ablenkungen des Alltags (Smartphone! Instagram!) sie bisher abgehalten hatten. Shakespeare schrieb seinen „König Lear“ ja auch in Quarantäne. Doch möchte man diese Vorstellung von Kunst als etwas Hochsensiblem, das Dachkammern in Funklöchern braucht, Schutz vor dem Gegenwartszuviel, um es mit Abstand betrachtet zu etwas Zeitlosem zu formen, sofort zurückweisen. Wie dankbar ist man jetzt – wenn man noch mal anhört, was in der Popmusik 2020 herausgekommen ist – für alle Songs, die nicht sofort Schirach-artig auf der Bedeutung des Ausnahmejahres für uns Menschen allgemein rumreflektieren, für die Alben, die etwas zum Hier und Jetzt zu sagen haben, ohne das C-Wort zu verwenden. Erste-Person-Plural-Pathos gibt es in Zeiten, in denen man Zeiten sagt, genug.

Um eine Zeile aus dem Sommerhit „Deutschland isch stabil“ von Teddy Teclebrhan zu leihen: Der Trick war, aus der „Pandenie ein Panini“ zu machen, und das hieß gerade nicht, in Sorglosigkeit zu flüchten. Wer sich, wie der Komiker, sehr genau bewusst war, was passierte, ohne sich von der Schwere erdrücken zu lassen, machte schönere Musik.

Geht man die Bestenlisten, Jahresrückblicke und die eigenen Lieblingsalben noch mal durch, fällt auf, erstens, wie viele gute Sachen in diesem Popjahr herausgekommen sind, auch wenn es besonders für viele kleine Bands ein Horrorjahr war. Zweitens passt es natürlich sehr gut, dass das Lied, das jetzt viele Jahresbestenlisten anführt, ausgerechnet von Sex handelt und damit von einer eher häuslichen Tätigkeit, und genauso passend erscheint es, dass das meistverkaufte Album des Jahres von einem der größten Popstars eine ruhigere Liedermacherinnen-Platte geworden ist. Aber das zeigt auch schon, drittens, das Rückschauproblem. Bloß, weil man mehr allein zu Hause hörte, macht das nicht jedes Klavierstück mit einer Zeile über Einsamkeit zum Corona-Kommentar. Die meisten Lieder aus diesem Jahr sind ja lange vorher entstanden.

Eher nicht das Jahr von Rap

Weniger die Neuerscheinungen waren also anders als die Momente, in denen man Musik hörte, was zu einer anderen Musikauswahl führte. Weniger Bar, mehr Wohnzimmer. Weniger Aggressivität, Druck und Lautstärke, auch weniger Rap als Gesang. Vielleicht kein Zufall, dass Teclebrhan mit seinem Corona-Gospel nicht nur ein Sommerhit gelang, sondern auch eines der besten deutschen Rap-Lieder. Trotz des kommerziellen Erfolgs, den Deutschrap weiterhin hat, klangen seine Chartshits 2020 noch etwas egaler. Verpufften die Motivationssprüche, weil Fitnessstudios geschlossen waren und sich im Homeoffice weniger Leute durch den Berufsverkehr boxen und für den Bürostress aufputschen mussten? Klangen die Konsumanleitungen hohler und die Aufstiegsversprechen zynischer, zu Hause in Kurzarbeit? Spielte das eigene Leben zu selten draußen, um zu Geschichten von der Straße eine Verbindung zu spüren, fehlten die Momente, in denen einen bassschwere Beats in die Nacht treiben konnten?

Auch außerhalb von Deutschland war es eher nicht das Jahr von Rap. Ja, auch in Amerika dominierte Drakes Singsang-Rap wieder die Streaming-Listen, aber es fällt auf, wie wenig den Stars zu dem ureigenen Hiphop-Thema Black Lives Matter einfiel. Wenn ein Fixpunkt des Genres, Kanye West, etwas sagt, auf einem Beat oder ohne, hört man sowieso längst lieber weg. Das unbestrittene Genie, der Pulitzer-Gewinner Kendrick Lamar, begleitete zwar fast jeden Protestzug mit der Hymne „Alright“ oder seiner Strophe auf dem Beyoncé-Song „Freedom“, Lamar wurde auch selbst als Demonstrant gesehen. Als laute Stimme nahm man ihn trotzdem nicht wahr. Sozialen Medien verweigert er sich, und obwohl seine Lieder auch noch zu 2020 passen – was für ihn und gegen die Vereinigten Staaten spricht – , sind die Songs dennoch schon vier, fünf Jahre alt. Aktuelle Beiträge kamen aus der zweiten Reihe, vom routinierten Rap-Duo Run The Jewels und der geheimnisvollen Gruppe Sault. „We are dying, it’s the reason we are crying“, heißt es auf dem Sault-Song „Wildfires“, der sich an George Floyds Mörder genauso richten könnte wie an alle Unterdrücker. „But we will never show fear / Even in my eyes / I will always rise / In wildfires.“

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