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#Der Zeichenzauber des Zauberzeichners

„Der Zeichenzauber des Zauberzeichners“

Sempé ist tot. Das schreibt sich leicht, aber es ist unbegreiflich, denn seine Zeichnungen sind das Lebendigste, was Cartoons überhaupt bieten können. Die Federleichtigkeit seines Tuschestrichs scheint doch alle Schwermut auszuschließen. Aber ganz Frankreich trägt nun Trauer; der Tod von Jean-Jacques Sempé ist in der kollektiven Verlusterfahrung der Nation in diesem Jahrhundert nur mit dem Hinscheiden der beiden Sänger Charles Trenet und Johnnie Hallyday zu vergleichen.

Liebling des ganzen Landes

Der Zeichner war der Liebling des ganzen Landes, auch wenn er in den letzten Jahrzehnten seine Wohnung hoch über dem Boulevard de Montparnasse in Paris kaum mehr verlassen hatte. Und die Stadt schon gar nicht. Als ich ihn zum letzten Mal sah – unendlich lange ist das her, Jahre schon –, saß er im Rollstuhl, doch er ließ sich putzmunter durch eine Ausstellung im Musée de l’Orangerie fahren, und mit seiner Anwesenheit stahl er den dort gezeigten Werken von Degas und Monet und Moreau und Daumier und Doré und Seurat und und und die Schau. Was war die ganze Kunstgeschichte seines Metiers gegen diese lebende Legende? Gegen den größten aller Porträtisten von Paris und zugleich der France profonde?

Sempé's Paris


Sempé’s Paris
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Bild: Diogenes

Er stammte aus Bordeaux. Dort verlebte Sempé die ersten achtzehn Lebensjahre, aber kaum hatte er 1951 die erste Pressezeichnung veröffentlicht, die seinen Namen trug – in der Bordelaiser Tageszeitung „Sud Ouest“, die später zur publizistischen Heimat jener Serie werden sollte, die ihn berühmt machte: „Le petit Nicolas“ (Der kleine Nick) –, da führte sein Militärdienst ihn fort und in die Nähe von Paris. Als unehelich geborenes Kind war er froh, der Stätte seiner als freudlos empfundenen Jugend zu entkommen, und in der französischen Hauptstadt stellte sich bereits nach wenigen Jahren Erfolg ein. 1957 gelang dem damals erst fünfundzwanzigjährigen Zeichner der Coup, als fester Beiträger von der populären Zeitschrift „Paris Match“ engagiert zu werden, und was Sempé dort unter dem Schleier seiner graphischen Eleganz an Gesellschaftskritik ins Hochglanzmagazin einschmuggelte, das wurde zum Menetekel für die Vierte Republik. In der 1958 begründeten Fünften gelang ihm dann das Kunststück, zu so etwas wie einem Staatskünstler zu werden, obwohl er 1968 mit „Saint Tropez“ einen Cartonband über die französische Elite herausbrachte, der sie als derart dekadent dekuvrierte, dass schon allein damit die Aufstände jenes Jahres begründet zu sein schienen. Aber genauso spottete er auch über die Linke, Arbeiter und Kleinbürger. Niemand war damals davor sicher.


Bild: Zeichnungen aus „Der kleine Nick“ – Sempé/Goscinny – Diogenes

Aber das ist gar nicht der Sempé, wie wir ihn heute alle kennen. Denn dieser Zauberzeichner verlegte sich im Laufe der siebziger Jahre auf die Kunst einer genialen Gefälligkeit. Seine kleinen Männchen und Frauchen sind Inbegriffe der Niedlichkeit, doch die Prima-facie-Harmlosigkeit seines Personals hat Sempé weiterhin selbst konterkariert. Sei es durch dessen Einbettung in ein überbordendes Dekor – Straßenschluchten, Imponierarchitekturen, Naturgewalten –, das es zur Winzig- und damit auch Hilflosigkeit verurteilte, dem diese Zwerge aber unbeirrt einen Individualismus entgegensetzten, der mit dem Anspruch auftrat, bestehen zu können gegen solche Übermacht der Umgebung. Oder sei es durch die den Figuren in den Mund gelegten Texte, die die Winzlinge zu Großsprechern machte: Niemand beherrschte den blasierten Tonfall der Bourgeoisie in ihrer Hybris so wie Sempé.

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