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#Die Ewigkeit des Provisoriums

Die Ewigkeit des Provisoriums

Im Jahr 1470 steht Papst Paul II. im Museum von Saint Sernin de Toulouse, manche nennen es damals noch den „Kirchenschatz“ dieser Kathedrale des Heiligen Saturninus, und bewundert die dort ausgestellte größte reliefierte Gemme der Antike. Diese sogenannte Gemma augustea zeigt auf knapp zwanzig Zentimetern kunstvoll aus dem schwarzen Schmuckstein geschnittene Kaiser, Legionäre, Viktorien, einen Tropaion-Waffenbaum und über allem das Sternzeichen des Tiberius, den Steinbock. Der Papst verliebt sich sofort in das Kunstwerk und bietet einen Tausch an: Er würde gegen Übereignung an seine Sammlung eine sündteure, aber dringend benötigte Brücke aus Stein über die Garonne errichten lassen.

Die Kanoniker von Saint Sernin lehnen weitsichtig ab, erbringt doch die gigantische Gemme zusammen mit anderen Preziosen und Apostelreliquien zu diesem Zeitpunkt schon seit vierhundert Jahren mehr an Eintrittsgeldern und Ablass als es der Brückenzoll vermöchte. Das steinerne Kunstwerk sollte noch ein knappes Jahrhundert seine Attraktion ausüben. Erst im sechzehnten Jahrhundert wechselt die Kaiserkamee ihren Aufbewahrungsort zu König Franz I., danach von Paris nach Wien, wo sie seither stolz als kaiserlich-habsburgischer Besitz im Kunsthistorischen Museum gezeigt wird.

Wer also weiland als Künstler ein langes Nachleben seiner Werke ersehnte, arbeitete für Kirchen. Doch auch wenn man heute vor Kunstwerken in Museen steht, die tausend oder mehr Jahre alt sind, wird deren Funktion als Speicher von Wissen und Zeit augenfällig, eine Funktion, die sie sich mit der Gründung der ersten öffentlichen Musenhäuser von 1800 an in der Ablösung und Säkularisierung der Kirchen als einstige Kunstausstellungshallen erwarben. Die frisch eröffnete Ausstellung „Futura – Vermessung der Zeit“ in der Kunsthalle Hamburg dreht den Zeitpfeil um: Was wird mit all den Kunstwerken in ferner Zukunft sein? Zugleich stellt sie die nicht weniger wichtige Frage, wie Zeit über ihre Einstein’sche Dehnbarkeit in surreal zerfließenden Uhren hinaus künstlerisch darstellbar ist, ob sie sich in ihrer Nicht-Materialität überhaupt ausstellen lässt. Dafür besitzt die Kunsthalle das vermutlich anschaulichste Kunstwerk weltweit, um dessen fünfundzwanzigsten Geburtstag herum nun eine kluge Schau zur Beantwortung der Fragen drapiert worden ist.

Aus den Ewigkeitsmaterialien rostfreier Stahl, Marmor und Glas: Bogomir Eckers „Tropfsteinmaschine“ (1996–2496) in ihrem eigenen Raum der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle.


Aus den Ewigkeitsmaterialien rostfreier Stahl, Marmor und Glas: Bogomir Eckers „Tropfsteinmaschine“ (1996–2496) in ihrem eigenen Raum der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle.
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Bild: Bogomir Ecker/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Im Jahr 1996 wurde Bogomir Eckers „Tropfsteinmaschine“ eingeweiht. Sie ist auf die biblische Dauer von fünfhundert Jahren Laufzeit angelegt. Wie so vieles im Museum handelt es sich mithin auch bei diesem Kunstwerk prima vista um eine Frage des Datierens. Den Preis für die eindrucksvollste Datierung auf einer Werkbeschriftung im Museum gewinnt die Tropfsteinmaschine allemal: „1996 –2496“ steht vor dem Raum im Sockelgeschoss zu lesen. Einzig in Hamburgs Kunsthaus wächst damit ein mit Phantasie erkennbarer Tropfstein von der Decke und zeigt durch den verdunstenden Kalksinter im Wortsinn eine Ablagerung von Zeit.

Die Installation windet sich durch das gesamte Museum

Die Installation ist nicht wie gewöhnlich auf einen Raum beschränkt, vielmehr nahm der Künstler das gesamte Gebäude zur Geisel seiner Zukunftsverheißung: Über ein 206-Millimeter-Rohr wird das Regenwasser vom Dach durch das Haus in einen normalerweise nicht zu sehenden Technikraum geführt und dort in einer Art Kaaba von einem Meter Kantenlänge gesammelt. Mit diesem Reservoir von eintausend Litern könnte der Tropfstein selbst bei extremer Trockenheit ein Jahr lang weiter gespeist werden. Da aber Regenwasser keinen Kalk mit sich führt, wird es im Foyer des Kunsthallenanbaus durch ein Pflanzbecken mit verschiedenen Mineralien geleitet. Im Pflanztrog befindet sich ein Periskop, mit dem inmitten des üppig wuchernden Grüns von Monsterae ein schwarz-weißes Echtzeitbild des wachsenden Tropfsteins zu erhaschen ist.

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