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#Die Farben der Vergangenheit

„Die Farben der Vergangenheit“

Als Literaturnobelpreisträger bleibt einem vieles nicht erspart. Wo einer aufgewachsen ist oder eine gewisse Zeit seines Lebens verbracht hat, da werden Tafeln an Häusern angebracht, was eher harmlos ist. Aber ab und zu irren dann auch Menschen mit Audioguides durch die Straßen und über die Plätze, an denen Bücher spielen oder wo der Autor/die Autorin sich gerne aufhielten.

Peter Körte

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Auf den Spuren von Patrick Modiano kann man zum Beispiel durch Jouy-en-Josas flanieren, einen kleinen Ort südwestlich von Paris. Und diese literarische Eingemeindung kann sich darauf berufen, dass Modiano hier einen Teil seiner Kindheit verbracht hat.

Modiano ist ohnehin ein dankbares Objekt für sogenannte literarische Spaziergänge. Er nennt in seinen Romanen meist sehr genau Straßen, Hausnummern, Metrostationen, oft sind sie auch noch mit seiner Biographie verbunden, sodass eine Fremdenverkehrszentrale nicht widerstehen kann, das touristisch zu kapitalisieren. Es entsteht so die Illusion, man beträte die Welt, in der ein Roman von Modiano spiele.

Die Rue du Docteur de Kurzenne ist einem bisher schon aus vier Romanen bekannt. In „Unterwegs nach Chevreuse“ taucht sie jetzt zum fünften Mal auf. Zu Hause fühlt sich der Leser nicht, aber sie ist einem vertraut. Auch der Erzähler ist nicht unbekannt. Jean Bosmans ist Schriftsteller, er war bereits der Erzähler in „Der Horizont“ (2010; auf Deutsch 2013).

Ein junger Mann, eine Frau, ein Geheimnis

Gerne hätte man jetzt auch erfahren, wie es ihm damals ergangen ist, als er in Kreuzberg, in der Dieffenbachstraße 16, eine Jugendliebe aufsuchen wollte, die dort eine Buchhandlung führte; als er wartete, die Begegnung aufschob, an einem schönen, warmen Berliner Sommertag. Das Buch hörte dann einfach auf, weil es bei Modiano aus guten Gründen keine solchen Szenen gibt, die einer Closure ähneln.

Bosmans hat in der Rue du Docteur de Kurzenne 38 einen Teil seiner Kindheit verbracht, Modiano auch. Wenn die Erzählung in „Unterwegs nach Chevreuse“ einsetzt, blickt er mit dem Abstand von mehr als fünf Jahrzehnten auf die Sechzigerjahre; seine Kindheit, die auch eine wichtige Rolle spielt, liegt noch 15 weitere Jahre zurück.

Aber das Zen­trum, die Modiano-Zeit, das sind die mittleren Sechzigerjahre, und was geschieht, ist wie so oft durch ein dünnes, assoziatives Band verknüpft mit Modianos Biographie. Es gleicht einem Rätselbild: Je näher man den Ähnlichkeiten zu kommen meint, desto stärker wird die Differenz. Bosmans ist nicht Modiano, aber ihm auch nicht fremd.

Patrick Modiano: „Unterwegs nach Chevreuse“. Aus dem Französischen  von Elisabeth Edl. Hanser, 158 Seiten, 22 Euro.


Patrick Modiano: „Unterwegs nach Chevreuse“. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser, 158 Seiten, 22 Euro.
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Bild: Hanser Verlag

Es ist in „Unterwegs nach Chevreuse“, so souverän wie immer übersetzt von Elisabeth Edl, auch sonst alles versammelt, was einen Roman von Patrick Modiano im Kern ausmacht. Ein junger Mann um die 20, der seinen Weg im Leben sucht, der anfängt zu schreiben; eine gleichaltrige Frau mit undurchsichtiger Vergangenheit; eine Reihe von Leuten, die zwielichtigen Geschäften nachgehen, die „schlechter Umgang“ sind, wie es knapp heißt; und das ältere Ego des jungen Mannes, das auf diese Jugend blickt, auf das Paris von damals, auf die Geheimnisse, die sich immer wieder entziehen.

Auch Bosmans gleitet hin und her zwischen den Zeiten, er deutet an – „an einem Nachmittag“ –, er benennt auch Zeiträume, 15 oder 30 Jahre später, doch in dieser Erzählweise verschwimmen die Zeiten manchmal ineinander wie Wasserfarben auf einem Blatt Papier. Bosmans hat selbst Pro­bleme, zwischen bestimmten Ereignissen eine chronologische Abfolge herzustellen, sie erscheinen ihm simultan.

Aporien der Erinnerung

Und er gerät in die Aporie der Erinnerung, die sich nie auflösen lässt: „Er fragte sich, ob er in dem Augenblick damals wirklich gesagt hatte: ‚Ich habe nie einen so schönen Frühling erlebt in Paris‘, oder ob es nicht vielmehr die Erinnerung an jenen Frühling war, die ihn heute, fünfzig Jahre später, diese Worte hinschreiben ließ.“

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