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#Die feine englische Art hat auch eine ziemlich hässliche Seite

Die Idee zu diesem Buch ist nebenbei entstanden. Oliver Bullough, der zuvor ein Buch über Superreiche und Korruption geschrieben hatte, versuchte einem amerikanischen Gesprächspartner klarzumachen, dass es in England keine schlagkräftige Strafverfolgungsbehörde gibt, die gegen internationale Geldwäsche vorgeht. Weil sein Gegenüber skeptisch blieb, platzte es aus Bullough heraus: Großbritannien sei wie ein Butler, den Reichen aus aller Welt zu Diensten. Von Großbritannien als Butler war es für Bullough dann nur noch ein kleiner Schritt zum Kanon der britischen Literatur. Nämlich zu P. G. Wodehouse und seinen Figuren Jeeves and Wooster. Der eine ein Gentleman, der andere sein cleverer, hochnäsiger, völlig amoralischer Butler, der alle Probleme für ihn löst. Dieser Diener Jeeves ist in Großbritannien allgemein bekannt, und mit ihm ergab sich für Bullough die Möglichkeit, den Briten den Spiegel vorzuhalten.

Dabei herausgekommen ist ein Buch, das Vorstellungen von feiner englischer Art um eine hässliche Dimension erweitert. Einerseits sagt Bullough, die Upper Class sei genauso vornehm, weltgewandt, lässig, humorvoll und knapp bei Kasse wie ihr Ruf. Doch sie sei andererseits auch auf einzigartige Weise skrupellos. Sie war es schon zur Zeit des Empire. Als Großbritannien ein Viertel der Welt beherrschte, machte es sich deren Reichtümer auf bemerkenswert geschickte Art zu eigen. Brutalität wurde als eher unpraktisch betrachtet, was der grundsätzlichen Toleranz gegenüber Unrecht jedoch nicht widersprach und der Bereitschaft, diskret zur Seite zu sehen, wenn es unschön wurde. Laut Bullough ist es diese Kombination von Geschmeidigkeit und moralischer Flexibilität, die Großbritannien geradezu prädestiniert für die Rolle des Butlers.

Die wechselnden Regierungen in London sahen weg

In einem historischen Kapitel zu Beginn des Buchs zeichnet der Autor den Untergang des Empire nach. Im Zusammenhang mit der Suez-Krise im Jahr 1956, als die Briten endgültig die Kontrolle über den Welthandel verloren, zitiert er den amerikanischen Außenminister Dean Acheson: „Großbritannien hat ein Weltreich verloren und noch keine neue Rolle gefunden.“

Oliver Bullough: „Der Welt zu Diensten“. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde.


Oliver Bullough: „Der Welt zu Diensten“. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde.
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Bild: Kunstmann Verlag

Doch Bullough widerspricht. Die finanzielle Herzkammer des Empire, die City of London, war damals längst im Begriff, sich neu zu orientieren, und erschloss mit der Erfindung des Eurodollar einen neuen Geschäftsbereich. Bullough beschreibt, wie die City von nun an den Superreichen und Kriminellen der Welt mit dem Verschwindenlassen unbesteuerten Kapitals diente. Auch Überseegebiete wie Gibraltar und die britischen Jungferninseln erfanden sich neu als Paradies für Briefkastenfirmen, Geldwäscher und Steuervermeider.

Selbst Schottland begann altertümliche Lücken in seiner Gesetzgebung zu nutzen, um Geld zu waschen. Die wechselnden Regierungen in London sahen jeweils weg, schreibt Bullough, unternahmen nichts und rechtfertigten das mit der klassischen Ausrede, dass das Kapital sonst anderswo Schlupflöcher finde. Nun gibt es viele Länder, die sich mit immer besseren Bedingungen für undurchsichtige Reichtümer zu übertreffen suchen. Doch nur Großbritannien könne seine Butlerdienste mit beispielloser Eleganz anbieten. „So viel typisch Britisches“, schreibt Bullough, „die Geschichte, die Traditionen, der Humor und die Institutionen, sind für die Eliten des Landes zu einem Kostüm geworden, das sie tragen, wenn sie die Welt nach neuen Klienten absuchen.“

Nabelschau und Aufklärung

Ein eindrückliches Beispiel für die einschlägige Willfährigkeit der britischen Oberschicht beschreibt Bullough mit Blick auf den ukrainischen Oligarchen und Putin-Freund Dmytro Firtasch. Er war eine feste Größe in der Londoner High Society, wurde von der Universität von Cambridge als Wohltäter hofiert, vom britischen Außenministerium als Berater geschätzt – und er hatte gerade eine stillgelegte U-Bahn-Station in Knightsbridge für 53 Millionen Pfund gekauft, als er in Österreich auf Gesuch des FBI verhaftet wurde. Dort harrt er bis heute seiner Auslieferung an die USA.

Als „Der Welt zu Diensten“ vor einem Jahr im englischsprachigen Original erschien, schlug das Buch in Großbritannien hohe Wellen. Russland hatte gerade die Ukraine überfallen. Der Westen verhängte Sanktionen, und London kam nicht umhin, genauer hinzusehen, wem es mit seinen Bankern, Juristen, Internaten, Immobilienmaklern und sonstigen Luxusdienstleistern jahrzehntelang gegen hohe Kommissionen gedient hatte. Geschichten über Londongrad machten die Runde. Bulloughs Buch trug einen wichtigen Teil zu Nabelschau und Aufklärung bei.

Mittlerweile kennt man die Geschichten, aber trotzdem bereichert das Buch auch jetzt noch das Verständnis aktueller Ereignisse. Denn auf den ersten Blick scheint es widersprüchlich, dass Großbritannien sich schneller und entschiedener auf die Seite der Ukrainer stellte als jedes andere westliche Land. Waren reiche Russen nicht eben noch seine besten Kunden? Doch wenn man Bulloughs Ausführungen liest, dann löst sich der vermeintliche Widerspruch auf. Denn ein guter Butler ist so gewissenlos wie leichtfüßig. Er dient seinem Herrn nur so lange, wie es dem eigenen Interesse dient. Und wenn sich der Wind dreht, tut er es auch.

Oliver Bullough: „Der Welt zu Diensten“. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde. Aus dem Englischen von S. Schmid und R. Gravert. Antje Kunstmann Verlag, München 2023. 272 S., geb., 26,– €.

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