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#Die Frau an keiner Seite

Die Frau an keiner Seite

Darf man sie zum Abschied noch einmal „Frau Walter Jens nennen“? Tun wir es und rechnen ein letztes Mal auf ihre Großherzigkeit, ihren Mangel an Zimperlichkeit und ihren Humor, dass sie es schon nicht übel nehmen wird. Inge Jens, in Hamburg geborene Puttfarcken, die nun im Alter von 94 Jahren in ihrer Wahlheimatstadt Tübingen gestorben ist – „friedlich“, wie es heißt –, war ein langes und, nach allem, was man darüber weiß, auch erfülltes Eheleben lang die Frau eines bedeutenden Gelehrten; aber sie war eben auch selbst bedeutend.

„Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim“ (2003): So heißt das gemeinsam mit Walter verfasste und bis heute gültigste Porträt einer Frau, in der sie sich, so darf man annehmen, selbst gespiegelt und wohl auch ein wenig wiedererkannt hat. Der althergebrachte Titel verweist auf eine Welt, der sie selbst noch entstammte und in der sich niemand etwas dabei dachte, wenn Frauen sogar noch namentlich hinter den Männern verschwanden oder (selbstironisch, selbstbewusst) hinter ihnen zurücktraten. Mit verstecken hatte das nichts zu tun. Wer Inge Jens vielleicht nicht in ihrem gesellig-offenen Tübinger Haus, aber auf einer der Lübecker Thomas-Mann-Tagungen erleben durfte, hatte es mit einer absolut unprätentiösen, herzerfrischenden Dame zu tun, bei der jede Befangenheit fehl am Platz war. Die für die Herausgabe und Kommentierung der Tagebücher mehr als fällige Thomas-Mann-Medaille, die man ihr dort 1995 verlieh, nahm sie mit fontanescher Nüchternheit entgegen.

Man darf dies als ihr opus magnum lesen; eine Aufgabe, die ihr nach Peter de Mendelssohns plötzlichem Tod zugefallen war und die sie mit einer Beharrlich-, Gründlich- und Unerschütterlichkeit weiter und zuende führte, von der man sich schwer einen Begriff machen kann. Thomas Manns letzte elf Jahre, von 1944 bis 1955, sein Alltag, sein Denken und Fühlen sind uns dank dieser erstrangigen philologischen Tat so vertraut, wie ein Schriftsteller-Leben dies eben sein kann – in der Schrift. Die Befassung mit diesem Zentralmassiv in der deutschsprachigen Prosa-Literatur war nicht nur die beste Vorbereitung für die Katia-Studie, die ohne gründliche Tagebuch-Kenntnisse wohl auch unmöglich gewesen wäre, sondern hatte auch lange Wurzeln und knüpfte an den Briefwechsel Thomas Mann – Ernst Bertram an, den sie schon 1960 herausgegeben hatte, bis heute ein unentbehrliches Arbeitsmittel für Forscher.

Es war von Unerschrockenheit die Rede. Inge Jens, die eine Doktorarbeit über die Novellenkunst des Expressionismus verfasst hatte und neben dem Schreiben für den Rundfunk tätig war, bewies auch im nicht-akademischen Leben Mut, am spektakulärsten wohl vor rund dreißig Jahren während des Golf-Kriegs, als das Ehepaar Jens amerikanische Deserteure bei sich aufnahm und dafür vor Gericht kam. Bis ins hohe Alter, in dem ihr der Tod ihres Sohnes Tilman nicht erspart blieb, war sie tätig. Aus ihren „Unvollständigen Erinnerungen“ (2009), in mancherlei Hinsicht an Katia Manns „Ungeschriebene Memoiren“ angelehnt, lässt sich lernen, was sie noch in diesem Herbst so auf den Punkt brachte: „Einfach tun, nicht groß drüber reden.“ Denkwürdig und persönlich allemal beglaubigt bereicherte sie die Sterbehilfedebatte mit dem Bericht „Langsames Entschwinden“ (2016) über Walters Demenz. Dabei war sie so souverän, im Lichte dieser eigenen, bedrückenden Erfahrungen ihre ehemals libertäre Einstellung dazu zu korrigieren. Inge Jens hat sich um das Geistesleben der Nachkriegszeit verdient gemacht.

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