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#Die Macht der Richter und der Politik

Israel versinkt im Streit. Die Opposition weitet ihre Proteste aus, Reservisten verweigern den Dienst in der Armee, Ärzte und Krankenpfleger treten in den Streik. Der Chef des mächtigen Auslandsgeheimdiensts Mossad lässt derweil im kleinen Kreis wissen, er werde im Falle einer Verfassungskrise „auf der richtigen Seite stehen“.

Es ist völlig klar, wer die Hauptschuld an dieser Staatskrise trägt: Es sind die radikalen Kräfte in Benjamin Netanjahus ultrarechter Koalition, die seit vielen Jahren schon gegen die vermeintlich linke Justiz hetzen, weil sich die Richter allzu oft ihrer extremistischen Agenda entgegenstellten. Sie feiern die Begrenzung der Zuständigkeit des Obersten Gerichts als Sieg der Demokratie über eine angeblich illegitime Herrschaft der Justiz.

Nun wollen sie die nächsten Schritte angehen, damit ihre Parlamentsmehrheit künftig auch die Ernennung der Richter kontrolliert. Dann, so fürchtet die Protestbewegung, wird dem Umbau der Gesellschaft hin zu einem illiberalen, theokratischen System nichts und niemand mehr im Wege stehen.

Viele Israelis sind grundsätzlich für eine Reform

Doch es wäre zu kurz gegriffen, an dieser Stelle mit der Betrachtung aufzuhören. Denn mitunter haben auch extreme Positionen vom politischen Rand einen wahren Kern, der im ohrenbetäubenden Lärm des Streits untergeht. Immerhin ist in Umfragen bis heute nur ein Drittel der Israelis radikal gegen die Pläne der Regierung, während sich viele Wähler grundsätzlich für eine Justizreform aussprechen, nur eben lieber in einem auf Konsens angelegten, breiten Verfahren.

Der wahre Kern ist in diesem Fall, dass das Oberste Gericht seine eigene Zuständigkeit in der Vergangenheit tatsächlich immer weiter ausgedehnt hatte. Historisch ist das kein Novum, auch der amerikanische Su­preme Court ermächtigte sich einst selbst dazu, die Gesetze des Parlaments zu kontrollieren. Ebenso entwickelt das Bundesverfassungsgericht seine Maßstäbe ständig weiter und stellt neue Grundsätze auf.

In Israel kam aber ein weiterer Faktor hinzu: Die europastämmigen, meist progressiv gesinnten Juden, die das Land einst aufgebaut hatten, verloren schon in den Siebzigerjahren ihre strukturelle Mehrheit. Seitdem gaben, von kurzen Ausnahmen abgesehen, rechte Regierungen den Ton an, die, obwohl mit ihrer Agenda durch Wahlen demokratisch legitimiert, immer wieder vom Obersten Gericht zurechtgewiesen wurden. Dort prägten weiterhin die Ideen der Progressiven das Denken. Die israelische Linke wiederum, die in Wahlen keine Mehrheiten mehr erlangte, verlagerte ihren politischen Kampf immer mehr in die Justiz, indem sie mit Hunderten Klagen und Petitionen gegen die Regierung vorging.

Themen sollten nicht der Debatte entzogen werden

Die Obersten Richter entwickelten in diesem Prozess ihre Beurteilungsmaßstäbe immer weiter und dehnten die eigene Zuständigkeit aus. Vieles war berechtigt und diente dem Schutz der Bürgerrechte, doch in ihrer Gesamtheit führte das dazu, dass die Probleme dem politischen Raum entzogen wurden. Denn das Oberste Gericht hat das letzte Wort. Wenn es ein Urteil fällt, ist die Sache entschieden. Auch jenseits der Rechten gab es in der Vergangenheit kritische Stimmen gegen diesen Prozess. Denn in demokratischen Gesellschaften sollte Politik eigentlich so funktionieren, dass alle wesentlichen Fragen diskutiert werden, um in einer breiten Debatte möglichst viele Menschen zu überzeugen.

Werden Dinge aber der Diskussion als alternativlos entzogen, weil eine höhere Instanz so entschieden hat, hilft das nicht der Überzeugungsarbeit – es hält nur den Deckel auf einem Fass, in dem es weiter gärt. In Israel half es der extremen Rechten, die über Jahrzehnte das Narrativ von der „Herrschaft der linken Richter“ pflegte und so den radikalen Feldzug gegen die Justiz vorbereitete

Lehren für Europa

Deutschland und Israel sind in dieser Hinsicht weit voneinander entfernt, schon weil hierzulande die große Mehrheit der Menschen wohl ein gemeinsames Wertefundament teilt. Das Problem aber, dass die fortschreitende Rechtsprechung den Raum des Politischen immer weiter einengt, ist auch hier virulent. Besonders deutlich zeigt es sich im europäischen Flüchtlingsrecht, in dem die politischen Handlungsmöglichkeiten durch von Richtern geschaffene Grundsätze verkleinert werden. Die Politik prallt so mit ihren Lösungsvorschlägen immer wieder an rechtlichen Hindernissen ab, während die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst und die extremen Parteien profitieren.

Die Lehre darf nicht sein, dass Richter künftig politisch opportun entscheiden. Ihre Aufgabe ist es, nur auf das Recht zu schauen und dessen Prinzipien zu schützen. Aber sie tragen Verantwortung dafür, den Handlungsraum der Politik nur so weit einzuengen, wie es unbedingt notwendig ist. Denn sonst werden sich mehr und mehr Menschen jenen Kräften zuwenden, die sich als fundamentale Alternative gerieren.

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