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#Die Rente sprengt den Haushalt

Die Rente sprengt den Haushalt

Die gesetzliche Rente in Deutschland steuert auf ein ernstes Finanzierungsproblem zu: Würde man die derzeit geltenden Garantien für Ruheständler und Beitragszahler fortführen, geriete der Bundeshaushalt spätestens in den 2040er-Jahren in akute Schieflage – der Bundesfinanzminister müsste dann etwa die Hälfte seines gesamten Etats an die Rentenversicherung überweisen, damit die Senioren weiter pünktlich Geld erhalten. Zu diesem Ergebnis kommt der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in einem noch unveröffentlichten Gutachten, welches der F.A.Z. vorab vorliegt.

„Das würde den Bundeshaushalt sprengen und wäre auch mit massiven Steuererhöhungen nicht finanzierbar“, warnt der Vorsitzende des Beirats, Ökonomieprofessor Klaus M. Schmidt von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Die jüngere Generation muss wissen, mit welcher gesetzlichen Rente sie in Zukunft rechnen kann.“ Im Jahr 2019 flossen dem Gutachten zufolge 26 Prozent des Bundeshaushalts als direkte Steuerzuschüsse an die Rentenkasse. „Dieser Anteil müsste bis 2040 auf über 44 Prozent und bis 2060 auf über 55 Prozent ansteigen.“ Die Federführung der Expertise hatte Axel Börsch-Supan vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.

Die genannten Werte würden sich einstellen, falls die von der Regierungskoalition aus Union und SPD vorerst bis 2025 festgelegten „Haltelinien“ verlängert würden. Sie geben vor, dass der Rentenbeitragssatz nicht über 20 Prozent des Bruttolohns steigen darf. Zudem darf das sogenannte Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken; es setzt Renten von Durchschnittsverdienern ins Verhältnis zum Durchschnittslohn. Reicht der Höchstbeitragssatz nicht aus, um dieses Rentenniveau zu finanzieren, muss der Bundeshaushalt mit Steuermitteln einspringen.

Haltelinien ändern die Lastenverteilung zwischen den Generationen

Das Gutachten hat hohe politische Aktualität, weil in der kommenden Wahlperiode entschieden werden muss, was nach 2025 gelten soll – und dies auch schon im aktuellen Wahlkampf eine Rolle spielen dürfte. In der Regierungskoalition hatte sich 2018 vor allem Finanzminister Olaf Scholz (SPD) dafür eingesetzt, die neuen Haltelinien gleich bis 2040 festzuschreiben. Sie ändern auch die Lastenverteilung zwischen den Generationen: Zuvor galt, dass steigende Rentnerzahlen den jährlichen Rentenanstieg bremsen, um Beitrags- und Steuerzahler nicht zu überfordern. Die Untergrenze für das Rentenniveau hebelt diesen Mechanismus aus.

Der Ökonomen-Beirat zweifelt nun sogar an, ob es überhaupt möglich wäre, die bisherigen Haltelinien fortzuführen: Empirische Steuerforschung zeige, „dass das Potential für Einnahmesteigerungen unter plausiblen Annahmen nicht ausreichen würde, um die zur Defizitdeckung nötigen zusätzlichen Bundesmittel durch eine Erhöhung der Einkommensbesteuerung zu finanzieren“, so sein Gutachten.

Konkret schätzt der Beirat, dass sich die Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuern äußerstenfalls um 50 Milliarden Euro im Jahr steigern ließen – jenseits davon würden höhere Steuersätze die Wirtschaft so stark lähmen, dass sich der Effekt ins Gegenteil verkehrt. Eine Fortführung der bestehenden Renten-Haltelinien erfordere aber zusätzliche Steuerzuschüsse von bis zu 83 Milliarden Euro im Jahr 2045 und bis zu 109 Milliarden Euro im Jahr 2060. „Der Beirat rät daher davon ab, in der politischen Diskussion die Illusion von langfristig gesicherten Haltelinien weiter aufrechtzuerhalten“, schreibt er.

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Um eine nachhaltige Finanzierung der Rente zu erreichen, stellt der Beirat mehrere Reformansätze zur Debatte. Unumgänglich sei, das Renteneintrittsalter von 2031 an der allgemeinen Lebenserwartung folgen zu lassen. Bis dahin steigt die Grenze, wie 2007 beschlossen, schrittweise auf 67 Jahre. Danach, so die Empfehlung, solle die „2:1-Regel“ gelten: Wächst die Lebenserwartung um ein Jahr, steigt die Grenze um 8 Monate. Auf Basis heutiger Prognosen sei so mit einem Anstieg auf 68 Jahre bis 2042 zu rechnen. Bei sinkender Lebenserwartung könne die Grenze aber auch sinken, so das Gutachten.

Mehr Lohn, weniger zusätzliche Rente?

Dies allein reiche jedoch nicht, um das System zu stabilisieren. Der Beirat stellt daher weitere Reformoptionen vor – darunter als besonders markanter Vorschlag ein „Degressiv-Modell“: Je mehr Lohn ein Arbeitnehmer erzielt, desto weniger zusätzliche Rente bekäme er künftig für jeden weiteren Euro an Beitragszahlung gutgeschrieben. Wer 50 Prozent mehr Lohn bezieht als ein Kollege und 50 Prozent mehr Beiträge zahlt, bekäme zum Beispiel nur noch 40 Prozent mehr Rente.

Denkbar sei auch eine Variante, in der weiter Haltelinien greifen – aber nur noch für einen Sockelbetrag der Rente. Für höhere Renten dagegen würde der Lastenausgleich zwischen den Generationen wieder in Kraft gesetzt. „Dies führt zu einer relativen Aufwertung geringer gegenüber höheren Renten und wirkt sich somit auch als Verringerung der Altersarmutsgefährdung aus.“ Der Beirat formuliert dies ausdrücklich nicht als Forderung, sondern als Diskussionsbeitrag. Er dränge aber dazu, „diese Diskussion im politischen Prozess bald zu führen“.

Im März 2020 hatte auch eine von der Regierung eigens eingesetzte Rentenkommission Reformvorschläge vorgelegt. Sie sehen für das System der Haltelinien nur kleinere Modifikationen durch sogenannte Korridore vor, ohne das Risiko für den Bundeshaushalt zu begrenzen: Der Beitragssatz sollte demnach künftig zwischen 20 und 24 Prozent liegen, das Sicherungsniveau zwischen 44 und 49 Prozent. Börsch-Supan, der auch in die Kommission berufen worden war, gab sein Mandat damals aus Protest vorzeitig zurück: Die Runde habe sich vor unbequemen Fakten gedrückt – und damit vor Lösungen, die der jüngeren Generation neues Vertrauen vermitteln könnten.

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