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#Die Spieluhr weiß, was es geschlagen hat

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Die Spieluhr weiß, was es geschlagen hat

Zum Zeitungsgewerbe hat das Kino ein zwiespältiges Verhältnis. Es gibt Journalisten, die, wie „Die Unbestechlichen“ von Alan Pakula und zuletzt die Helden von „Spotlight“, echte Lichtgestalten sind, aber auch korrupte Schurken und Satansreporter wie Kirk Douglas bei Billy Wilder. Besonders Chefredakteure machen praktisch nie eine gute Figur. Das ist in Wes Andersons „French Dispatch“ anders. Hier wird der Chefredakteur von Bill Murray gespielt, mit dem Anderson seit mehr als zwanzig Jahren zusammenarbeitet, und er ist eine Seele von Mensch.

Der Film beginnt allerdings mit Murrays Tod, und so ist seine Geschichte ins Licht der Erinnerung getaucht. „The French Dispatch“ heißt die Zeitung, die der Verlegerssohn aus Kansas nach dem Ersten Weltkrieg in der fiktiven französischen Stadt Ennui-sur-Blasé gegründet hat. So sprechend wie der Name der Stadt sind auch die Namen der Figuren, sie heißen Rosenthaler, Zeffirelli, Nescafier, Upshur Clampette, Herbsaint Zazerac oder Lucinda Krementz. Sie alle erscheinen in den Artikeln, die der „French Dispatch“ veröffentlicht – oder sie schreiben sie.

Der Film ist freilich keine Reportage, sondern eine Phantasmagorie. Anderson, der mit Krimikomödien und Collegefilmen begonnen hat, baut sich seine Realität inzwischen selbst zusammen. Wie das funktioniert, lässt sich am besten an dem Schauplatz Ennui-sur-Blasé erklären: Er sieht wie eine Pinnwand aus, auf die man Hunderte von Szenerien aus klassischen französischen Filmen geklebt hat. Reines Kino also. Nur dass es kein reines Kino gibt. Ein Film handelt immer von etwas, und sei es seine eigene Entstehung.

Porträt einer Zeitung

Hier ist es das Porträt der Zeitung. Jede ihrer vier Sektionen ist in „French Dispatch“ mit einer Story vertreten: Lokales, Kultur, Gesellschaft und Kulinarik. Dabei steckt in den Geschichten oft etwas anderes, als der Ressorttitel verspricht. In der Abteilung Kulinarik geht es etwa um eine Entführung, die der geniale Koch des Polizeichefs mit vergifteten Cornichons zu einem guten Ende bringt. Die Gesellschaftsreportage handelt von einer Studentenrevolte, der Kultur-Aufmacher von einem Maler, der als Mörder im Zuchthaus sitzt. Nur die Zeit, in der die einzelnen Episoden spielen, bleibt unklar, auch wenn es gelegentliche Hinweise gibt.

Alles so symmetrisch: Wes Andersons’ „The French Dispatch“


Alles so symmetrisch: Wes Andersons’ „The French Dispatch“
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Bild: Festival Cannes

„French Dispatch“ als geistreich zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Jede Szene ist ein visuelles Aperçu, jede Wendung des Plots eröffnet neues schillerndes Spielmaterial. Der Maler Moses Rosenthaler (Benicio del Toro) beispielsweise belästigt sein nacktes Modell (Léa Seydoux) so lange mit dem Pinsel, bis sie ihm eine Ohrfeige gibt. Als sie sich hinter einem Wandschirm umzieht, stellt sich heraus, dass sie seine Zellenwärterin ist. Das Gemälde indessen zeigt keinen Akt, sondern ein Gewirr floraler Formen, weshalb es auf dem amerikanischen Kunstmarkt zur Sensation wird. Als dessen Vertreter eines Tages das Gefängnis besuchen, hat Rosenthaler zu ihrem Entsetzen keine Tableaus gemalt, sondern die Mauern mit Fresken bedeckt. Der Auftritt der Delegation löst einen Häftlingsaufstand aus, durch den der Maler seine Freiheit erlangt. So gibt ein Bild das andere, bis die ganze Leinwand dieses Films mit Einfällen gefüllt ist.

Man kann dieses Kino der Hommagen und Reminiszenzen, dessen Design der Regisseur bei den Illustratoren der Zeitschrift New Yorker entliehen hat, für überflüssig und weltfremd halten, und tatsächlich balanciert „French Dispatch“ wie schon „Grand Budapest Hotel“, mit dem Anderson vor sieben Jahren den Jurypreis in Berlin gewann, immer an der Grenze zum Kunstgewerbe. Aber auch eine Spieluhr zeigt manchmal die richtige Zeit an.

Der Blick in den Spiegel, die Verbeugung vor der Vergangenheit ist längst zu einer Hauptbeschäftigung des Kinos geworden. Was das bedeutet, sieht man in Mia Hansen-Løves Wettbewerbsbeitrag „Bergman Island“, in dem sich ein Filmautoren-Ehepaar im einstigen Gästehaus von Ingmar Bergman auf der Insel Farø einquartiert, um aus der Aura des verstorbenen Meisters Kraft für seine Arbeit zu schöpfen. Aber die Skript-Ideen der beiden, die der Film in ermüdender Länge ausbreitet, haben nichts von der Härte und Klarheit, mit der Bergman die ewigen Themen der Kunst – Liebe, Sex und Tod, das Ich und die anderen – in Bilder übersetzt hat. So bleiben von Bergmans Insel am Ende nur ein paar Ferienfotos.

Die große Frage dieses Festivaltages ist ohnehin, ob Léa Seydoux, die trotz doppelter Impfung Corona-positiv getestet wurde, zur Premiere von „French Dispatch“ anreisen kann. Die Pandemie führt auch auf dem Festival Regie.

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