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#„Die Überlebenden leben in extremer Armut“

Frau Burckhardt, vor zehn Jahren stürzte das Fabrikgebäude Rana Plaza in Bangladesch ein, in dem Modemarken wie Mango, Benetton und Discounter wie Kik ihre Kleidung nähen ließen. Mehr als 1000 Näherinnen starben, fast 2000 wurden verletzt. Sie sind Vorsitzende des Vereins Femnet, der sich für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen in der Bekleidungsindustrie einsetzt, und waren kürzlich in Bangladesch. Wie geht es den Überlebenden?

Die meisten von ihnen können nicht mehr arbeiten, sei es, weil sie zu stark verletzt wurden oder weil sie traumatisiert sind und keine Fabrik mehr betreten können. Deshalb leben sie in extremer Armut. Sie haben zwar eine Entschädigungszahlung bekommen, aber das Geld längst für ärztliche Behandlungen ausgegeben. Und in Bangladesch gibt es keine Sozial- oder Unfallversicherung. Eine Frau, die ich traf, hat bei dem Unglück ein Bein verloren. Sie verkauft Tabakblätter am Straßenrand. Ihr Sohn musste die Schule abbrechen, um als Tagelöhner das Überleben der Familie zu sichern.

Und wie geht es denen, die heute noch Kleidung nähen?

Schlecht. Die Löhne in Bangladesch sind immer noch viel zu niedrig. Seit fünf Jahren gab es keine Lohnerhöhung mehr, dabei haben sich die Preise mancher Lebensmittel durch die Inflation verdoppelt. Der Mindestlohn liegt bei umgerechnet gut 70 Euro im Monat. Weil ihr Gehalt nicht zum Leben reicht, sind fast 70 Prozent der Arbeiterinnen hoch verschuldet, teils mit sieben Monatslöhnen. Die Gewerkschaften verlangen rund 190 Euro als Mindestlohn. Existenzsichernd wäre auch das noch nicht.

Für Frauenrechte in der Textilindustrie: Die Femnet-Vorstandsvorsitzende Gisela Burckhardt


Für Frauenrechte in der Textilindustrie: Die Femnet-Vorstandsvorsitzende Gisela Burckhardt
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Bild: Frank Griesel

Hat sich auch etwas verbessert?

Tatsächlich ist die Sicherheit in den Fabriken besser geworden. Rund 1600 Fabriken sind vom Bangladesch Accord erfasst, einem Abkommen, das seit 2013 unter anderem Brandschutz, Elektrizität und Statik regelt und das eine Reaktion auf das Unglück war. Es gibt aber Tausende Fabriken, die das Abkommen nicht unterzeichnet haben. Lokale Produzenten, aber auch Fabriken, die für Firmen wie Amazon, Tom Tailor und Ikea produzieren. Dagegen haben wir auf Grundlage des Lieferkettengesetzes Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eingelegt – die erste Beschwerde nach dem Lieferkettengesetz, das im Januar in Kraft getreten ist.

Näherinnen aus Billigproduktionsländern selbst können in Deutschland bisher keine Beschwerde einreichen. Entwicklungsministerin Svenja Schule (SPD) will ihnen künftig Zivilklagen vor deutschen Gerichten ermöglichen.

Das deutsche Lieferkettengesetz sieht diese Möglichkeit nicht vor. Sie müsste über das EU-Lieferkettengesetz eingeführt werden, das bisher erst als Entwurf vorliegt. Aber die deutsche Industrie lobbyiert in Brüssel dafür, dass das nicht passiert. Dabei wäre es sehr zu begrüßen. Die Beweislast müsste dann aber bei den Unternehmen liegen. Sie müssten nachweisen können, dass sie Sozialstandards einhalten – und nicht die Näherinnen, dass sie es nicht tun.

Vor fünf Jahren wurden in den USA fünfmal mehr Kleidungsstücke gekauft als in den Achtzigern. Die Textilindustrie verursacht mehr CO2-Ausstoß als internationale Flüge und Kreuzfahrten zusammen. Gleichzeitig wird ein Kleidungsstück im Schnitt nur siebenmal getragen: Müssen wir mehr als nach Bangladesch auch auf westliche Länder schauen?

Natürlich kann man an Einzelpersonen appellieren, mehr secondhand zu kaufen. Die Problematik ist aber so immens, dass man sie nicht auf Individuen abwälzen kann. Vor allem muss die Textilwirtschaft die massive Überproduktion bei schlechter Qualität angehen. Und es braucht staatliche Regulierung. Das Lieferkettengesetz ist da zumindest ein erster Schritt.

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