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#Die Welt der Gezeichneten

Die Welt der Gezeichneten

Es gibt Szenen in Filmen und Serien, da ist alles zu viel. Doch wenn dieses „zu viel“ durch eine einzige Sache fast mühelos zusammengehalten, getragen und verdichtet wird, dann bleiben diese Szenen für immer im Gedächtnis des Publikums. Auch in der Anime-Serie „Cowboy Bebop“ gibt es solche Szenen, die man nach Tausenden anderer, überdreht-theatralischer Anime-Szenen nicht vergisst. In ihr trifft der Kopfgeldjäger und „Space Cowboy“ Spike Spiegel auf seinen einstigen Freund und Waffenbruder Vicious. Die beiden haben eine komplizierte Vergangenheit. Organisiertes Verbrechen und die eine Frau, die sich nicht teilen lässt. Nun sind sie Todfeinde – mit Gesprächsbedarf: „Durch dich und mich fließt das gleiche Blut. Das Blut eines rastlosen Biestes, das sich nach dem Blut der anderen verzehrt.“ – „All dieses Blut ist aus mir herausgeflossen.“ – „Warum lebst Du dann noch?“

Ihr Duell findet in einer dunklen Kirche statt, damit das Zeichner- und Autorenkollektiv des japanischen Sunrise-Studios, das stets unter dem Pseudonym Hajime Yatate genannt wird, zeigen kann, auf welch einzigartige Weise die Trickfilmkunst mit Licht und Schatten zu spielen vermag. Da fliegt einer durch das riesenrunde Kirchenfenster, sodass man meint, es zersplittere das Auge Gottes. Dann sehen wir, was der Fallende sah, sieht und sehen wird: Rosen, Rettung, Ruchlosigkeit, Rache und Reue – dazu heuchelt der Song „Green Bird“ von Yoko Kanno, die die Musik zur Serie arrangiert hat, so gekonnt Unschuld, dass sich der Bildschirm vor lauter Kontrast zwischen überfrachteten Bildern und einschmeichelnden Tönen eigentlich in sich selbst falten müsste. Stattdessen tragen die Töne jedes einzelne Bildfragment mit Samthandschuhen, und der Zuschauer weiß sofort, was er wissen muss.

Wenn jetzt also ein Bewegtbildanbieter wie Netflix das Geld in die Hand nimmt, um das zu tun, was in Japan – aus ästhetischer Sicht nicht immer ganz nachvollziehbar – an der Tagesordnung ist, nämlich Gezeichnetes gegen Gefilmtes auszutauschen, dann darf man vermuten, dass zumindest etwas Neues entsteht. Im Pressematerial ist die Rede davon, dass etwas zum Leben erweckt werden soll. Und von der Angst davor, etwas falsch zu machen. Wie jede Popkulturnische hat auch dieser Anime seine eigene Inquisitionsabteilung, die streng darüber wacht, dass alles so bleibt, wie es ist.

Also bewegt sich das Team um den Produzenten André Nemec und die Regisseure Alex Garcia Lopez und Michael Katleman bemüht nah am Original sowie am Medium des Originals. Episoden in der Geschichte um die Kopfgeldjäger-Patchwork-Familie an Bord des einstigen Fischerei-Raumschiffes „Bebop“ – Jet Black (großartig gecastet: Mustafa Shakir), Spike Spiegel (allein schon der Haare wegen: John Cho) und Faye Valentine (Daniella Pineda) – werden in großen Teilen nachgespielt. Jet und Spike sind chronisch pleite und jagen in jeder Folge einen anderen Kriminellen, während sie versuchen, das Durcheinander im Keller ihrer Vergangenheit aufzuräumen. Dabei wird – auch dieses Mal zum Soundtrack von Yoko Kanno und ihrer Band „Seatbelt“ – viel gedroht, gekämpft und geschossen.

Für sich genommen ist das sehenswert, weil John Cho, selbst wenn ihn 22 Jahre von seiner Rolle trennen, seinen Gegnern mit dem über fünf Wochen mühevoll antrainierten Bruce-Lee-Kampfstil Jeet Kune Do so charmant wie choreographisch anspruchsvoll zusetzt, ohne darauf reduziert zu werden. Shakir und Cho bringen sogar das Kunststück zustande, die Mischung aus bärbeißiger Freundschaft und erfahrungsgesättigtem Misstrauen zwischen Jet und Spike überzeugend darzustellen. Auch birgt der visuelle Stil der Serie eine Patina (man hört Platten, Handys sehen aus wie handliche Röhrenfernseher), die eigentlich nur entstehen kann, wenn man auf das Zeitalter des interstellaren Reisens so zurückschaut wie der Western auf den Landraub des weißen Mannes im Amerika des 19. Jahrhunderts.

Gäbe es Shin’ichirō Watanabes Original nicht, dürfte man diese Serie als gelungen bezeichnen. Doch ohne das Original gäbe es diese Serie nicht. Und da es nun mal so ist, weiß, wer die Folgen aus dem Jahr 1998 einmal gesehen hat, dass kaum je ein Schauspieler den Swagger des mehrfach gezeichneten Spike Spiegel auf den Bildschirm bringen kann. Warum? Weil im Zeichentrick jeder Strich und jede Linie in jedem der 24 Bilder, die binnen einer Sekunde auf unsere Netzhaut projiziert werden, zählt. Realverfilmung von Zeichentrick, das ist die Rotweinschorle der Filmwelt. Etwas, das nur Sinn ergibt, wenn Geschmack und Kunst sich pragmatischen Gesichtspunkten unterordnen.

Natürlich wird Zeichentrick hier mit weltlichen Mitteln auf der Ebene des Bildausschnitts, der Bewegung und des Dialogs werkgetreu rekonstruiert: Nervöse Bösewichte wechseln beim Niederbrüllen ihrer Kontrahenten ständig die Waffenhand, Bilder stehen in der Schwerelosigkeit kopf, hundert Augen werden in Nahaufnahmen aufgeschlagen und geschlossen, Eröffnungsszenen und Totalen bleiben stehen, bis alle Beteiligten ihr Sprüchlein aufgesagt haben, Zigaretten glimmen wie das Lebenslicht in den Augen derer, die die nächste Kugel hinüberträgt. Stolz ist das Team obendrein auf all die „versteckten“ Hinweise auf das Original. Wozu? Es bleibt ohne Mehrwert und in Textur und Form Welten entfernt von den durchkomponierten Farb- und Tonexplosionen eines gezeichneten Sonnensystems, in dem wenig gegeben ist, sondern alles aus der Leere einer Folie oder eines weißen Blattes entsteht. Wer es nicht glaubt, kann sich die Ursprungsserie bei Netflix ansehen. In diesem Sinne: See you Space Cowboy.

Cowboy Bebop läuft bei Netflix.

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