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#Diese Bilder könnten Sie verstören

Diese Bilder könnten Sie verstören

Jedes Museum hat eine Bühne und einen Backstage-Bereich. Auf der Bühne werden ausgewählte Objekte für die Besucher in Szene gesetzt und durch eine Informationstafel ergänzt. Im Backstage-Bereich hingegen schlummert der weitaus größere Teil der Sammlung – eingehüllt in Luftpolsterfolie, weggeschlossen in Schränken oder verteilt auf Europaletten. Das Archiv ist so etwas wie das schlechte Gewissen des Museums, denn was sich dort befindet, stellt keine Konkurrenz für die Glanzstücke dar und bleibt den Blicken des Publikums womöglich dauerhaft verborgen. Diese Aufteilung zwischen vorne und hinten markiert zugleich eine Trennung zwischen Kennern und interessierten Laien. Im Depot wird geforscht und katalogisiert, im Schauraum gestaunt.

Wie Besucher des Louvres oder der Londoner National Gallery Gemälde betrachten, hat Thomas Struth fotografisch festgehalten. Mit welchen Überraschungen ein Depot aufwartet, zeigt die 1971 geborene Anja Nitz. Für ihr neues Buch lichtete sie Objekte aus den Sammlungen der Museen für Völkerkunde in Leipzig, Dresden und Herrnhut ab. Manche der Bilder wirken fast wie Schnappschüsse, andere bestechen durch ihre feinsinnige Komposition. Die ästhetische Erfahrung, zu der sie einladen, hat nichts Weihevolles, da sie sich einer nüchternen Bestandsaufnahme im konkreten Sinne verdankt. Ironischerweise bilden die Fotos der Objekte eine eigene Kollektion, sind sie doch nummeriert, sortiert, in einem Index aufgeführt und mit erläuternden Texten versehen.

Kolonialismus und Raubkunst

Nitz bewegt sich auf vertrautem Terrain, denn schon 2016 hat sie für ihre Installation „Hinter den Spiegeln“ die Depots der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen besucht. Dabei den Überblick zu behalten dürfte unmöglich gewesen sein, schließlich befinden sich in Leipzig rund 200.000, in Dresden 88.000 und in Herrnhut 6700 potenzielle Ausstellungsstücke. Manche davon könnten als so problematisch empfunden werden, dass das Buch mit einer Triggerwarnung beginnt: „Bitte beachten Sie, dass Darstellungen von ‚sensiblen Objekten‘ wie beispielsweise menschliche Gebeine in diesem Band aufgrund der mit ihnen verbundenen Geschichte kolonialer Gewalt eine verstörende oder verletzende Wirkung haben können – insbesondere für die Nachfahren der Individuen, deren Gebeine sich in den Depots befinden.“

Löwenplastiken aus Ostasien auf Holzpaletten im Außenlager für Großobjekte, GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig



Bilderstrecke



Backstage im Museum
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Fotografien von Anja Nitz

Die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, Léontine Meijer-van Mensch, schreibt in ihrem Beitrag, Gipsabdrücke zeugten von einer „rassistischen Vergangenheit“, weswegen im Schauraum kein Platz für sie sei. Anders verhält es sich, sobald es um Anja Nitz’ Fotoband geht: „In diesem besonderen Fall trafen wir die Entscheidung, dass die Abgüsse Teil des Buches sein sollten.“ Die Gründe für diesen Beschluss bleiben im Dunkeln. Nun stellt sich eingedenk des Warnhinweises die Frage nach der genauen Differenz zwischen einem Objekt, das man aus Rücksicht nicht präsentiert, und einer Fotografie desselben, die man der Öffentlichkeit zugänglich macht. Bei solchen Überlegungen schwingt die Debatte um Kolonialismus und Raubkunst im Hintergrund stets mit. Da ist es angemessen, dass Anja Nitz auf emphatische Darstellungen verzichtet. Viele ihrer Aufnahmen wirken geradezu steril.

Spuren des Inventarisierungswillens

Ihr künstlerisches Prinzip ist die Beiläufigkeit. Hier Werkzeug, Transportkisten und Rollregalsysteme, dort Trachtenfiguren, Giftpfeile und Wachsbüsten. Hier ein Stickbild von Ho Chi Minh, der mit wachen Augen in die Ferne schaut, dort ein gerahmtes Porträt Mahatma Gandhis hinter einem Computerbildschirm. Alles gleichberechtigt nebeneinander, ohne grelle Effekte inszeniert. Während in Museen durch hierarchisch organisierte Parcours und Epochengliederungen Ordnung hergestellt wird, zeigt sich in deren Magazinen die chaotische Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Meint man, denn tatsächlich herrscht auch im Lager absolute Akkuratesse.

Aufsicht führen die Sammlungskonservatoren. Sie treten auf den Bildern nicht in Erscheinung, haben aber in Form von Karteikarten und Ordnern Spuren ihres Inventarisierungswillens hinterlassen. Die oft beschworene Aura eines Objekts verdankt sich – so denkt man beim Betrachten der Fotografien – wohl vor allem dem Bühnenzauber des Museumssaals, weniger dem Ausstellungsstück selbst. Backstage wirken die Objekte nämlich, als seien sie nur da, um zu illustrieren, nach welchem Aufbewahrungsprinzip sie letztlich eingemottet werden.

Anja Nitz: „Depot“. Mit Texten von Kevin Breß, Matthias Harder, Megan Krakouer, Léontine Meijer-van Mensch und Laura van Broekhoven. Englisch und Deutsch. Kerber Verlag, Bielefeld 2020. 144 S., Abb., geb., 40,– €.

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