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#Kein rigoroser Pazifismus in Sicht

„Kein rigoroser Pazifismus in Sicht“

Die Argumente sind einigermaßen ausgetauscht, aber die Talkshows müssen ja weitergehen. Daher sitzt nun jede Woche dasselbe Personal darin, teilweise an mehreren Abenden. Norbert Röttgen fand am Donnerstag bei Maybrit Illner immer noch richtig, dass Friedrich Merz in die Ukraine gereist ist. Marina Weisband fand weiterhin, man dürfe Putin nicht nachgeben selbst wenn er mit Nuklearwaffen drohe – weil nachgeben bedeute, dass solche Drohungen dann immer wieder Erfolg hätten. Die Friedensforscherin Nicole Deitelhoff, die betont, sie sei keine Pazifistin, gab sich wiederum sehr abwägend. Sie sagte aber, das Kalkül der Russen, durch Krieg sei mehr zu gewinnen als durch Verhandlungen, müsse man brechen durch Unterstützung der Ukraine mit Waffen – um so überhaupt erst wieder Politik, also Verhandlungen zu ermöglichen. D

ies erhielt weitestgehend die Zustimmung ihrer Mitdiskutanten. Kevin Kühnert übte sich wie sein Kanzler Olaf Scholz im Zurschaustellen von Rationalität und wiederholte, laut Völkerrecht seien militärische Ausbildung und Waffenlieferungen keine Kriegsbeteiligung und daher legitim. Doch er mahnte auch, man müsse sich hüten, nun fahrlässig zu werden (was auch immer damit gemeint sein sollte).

Yogeshwar in der Buhmann-Rolle

Und Ranga Yogeshwar? Der Wissenschaftsjournalist, der den umstrittenen offenen Brief gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine unterzeichnet hat, sollte in dieser Runde unter der Frage „Frieden schaffen mit noch mehr Waffen – Fehler oder Pflicht?“ wohl der Buhmann sein. Er buhte aber sehr gesittet und vorsichtig. Es falle auf, dass in der deutschen Öffentlichkeit zuletzt immer stärker eine militärische Rhetorik vorherrsche. Wir redeten mehr über Waffen als über Verhandlungen.

Yogeshwar versuchte, den Krieg in der Ukraine einzuordnen in globale Zusammenhänge und größere Zeitläufte, warnte vor viel größeren Konflikten wie einem heraufziehenden „kalten Krieg“ zwischen den Vereinigten Staaten und China, der auf lange Zeit alle Ressourcen binden könne, die man dringend für andere Probleme der Welt benötige. Er erinnerte daran, dass es vor Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine lauter Fehleinschätzungen von Leuten gegeben habe, die diesen Krieg nicht für möglich hielten. Solche Fehleinschätzungen könne man sich in der Gefahr eines Atomkrieges nicht nochmal erlauben. Und dann erinnerte er auch noch an den Historiker Christopher Clarke, der in seinem Buch „Die Schlafwandler“ gezeigt habe, wie Europa Schritt für Schritt in den Ersten Weltkrieg hineingeraten sei, ohne es zu wollen.

Eine empörende Forderung an die Ukraine?

Die anderen in der Runde hielten, moderat im Ton, dagegen. Man solle auch unter Abwägung dieser Gefahren die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen. Weisband befand angesichts einer atomaren Eskalation sogar: „Wir erhöhen unsere Sicherheit, wenn wir eine klare Grenze ziehen.“ Es blieb aber weiter sehr gesittet, man gab einander oft recht an diesem Abend, auch Weisband und Yogeshwar trotz ihrer Differenzen.




Einzig in der Frage nach der Moral, auf die sich der offene Brief gegen die Waffenlieferungen bezieht, wurde die Diskussion einmal etwas hitziger. Röttgen warf Yogeshwar und den Unterzeichner des Protestbriefes vor, sie forderten von der Ukraine, sich dem Recht des Stärkeren zu unterwerfen. Diese Forderung sei moralisch empörend. Yogeshwar bemühte sich, diesen Vorwurf zu relativieren, was nur halb gelang.

Moderatorin und Talk-Runde versuchten sich klarzumachen, was eigentlich das Ziel in der Ukraine sein solle: Souveränität in den Grenzen vor Kriegsbeginn oder auf kleinerem Territorium? Oder sei das Ziel vielmehr, wie der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin es sagte, Russland unfähig zu machen, je wieder eine solche Aggression vorzubereiten? Hier buken die Deutschen dann doch kleinere Brötchen, hofften wie Röttgen auf eine europäische Friedensarchitektur, von der Russland, so fern das jetzt scheine, irgendwann wieder Teil sein könne.

Die Leerstelle der Debatte

Es war einerseits beeindruckend angesichts mancher Schrei-Gefechte in Talkshows, hier einen so ruhigen und zivilisierten Austausch zu beobachten. Umgekehrt könnte man aber auch sagen: Die Debatte kam überhaupt nicht in Schwung (um nicht zu sagen: zündete nicht). Das offenbarte eine Leerstelle: Die Provokation, die ja in der paradoxen Titelfrage „Frieden schaffen mit mehr Waffen?“ eben doch angelegt war, blieb weitestgehend ohne Resonanz.

Es gibt offenbar zurzeit niemanden, der sich in so einer Runde tatsächlich auch mal etwas rigoroser für Pazifismus ausspricht, so naiv und weltfremd das auch anderen erscheinen mag, so unangemessen der Situation der Ukrainer. Daher bleibt es, um diese Reibung überhaupt noch zu erzeugen, in den derzeitigen Talkshows dann oft bei Einspielbildern und -Filmen aus der Zeit vor 40 Jahren, als in Deutschland noch Friedenslieder gesungen wurden, manche sogar die Parole „Lieber rot als tot“ ausgaben und wieder andere sagten: „Wir haben eine andere Idee von der Bergpredigt, Herr Bundeskanzler.“ Nein, das würde heute wohl niemand mehr sagen.

Das führt, einmal nüchtern aus der Sicht eines Streit zwischen Grundpositionen erwartenden Talkshowkonsumenten formuliert, zu einer Produktenttäuschung. Aber so kalt und empathielos bliebe ein solcher Konsument freilich nur bis zu den nächsten Nachrichten, in denen dann eine junge Frau aus Butscha spricht, die dort gerade ihren Mann und ihr Kind verloren hat.

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