#Doktor Jesus und die Aussätzigen
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„Doktor Jesus und die Aussätzigen“
Das Alte Testament ist eine interessante Lektüre für Venerologen. Dort wimmelt es nur so vor Geschlechtskrankheiten. Während Moses auf dem Berg Sinai unterwegs ist, um die Zehn Gebote von Gott zu empfangen, fangen die Israeliten im Tal an, ein Goldenes Kalb anzubeten und sich auf unterschiedliche Weisen zu vergnügen. Als Moses zurückkehrt und das Spektakel sieht, zerschlägt er das Kalb und die Steintafeln mit den Geboten gleich mit.
Justus Bender
Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Auch Gott ist sehr wütend. Er straft das Volk mit einer Seuche, deren Namen in der Bibel nicht genannt wird, deren Ursprung aber auch die eigene Zügellosigkeit gewesen sein kann. Venerologen spekulieren über Syphilis oder Tripper. Es gibt Artikel in medizinischen Fachzeitschriften darüber. Die Bakterien entstellten die Menschen, sie hatten Geschwüre am ganzen Körper. Wenn in der Bibel von Leprakranken die Rede ist, dann ist nicht unbedingt die vom Mycobacterium leprae verursachte Krankheit gemeint, sondern viele Formen von entstellenden Seuchen. Und wer krank wurde, hatte kein Mitleid verdient, denn er war ein Sünder, von Gott gestraft.
Auch für Epidemiologen sind die Bücher Mose aufschlussreich, dort geht es um Hygieneregeln. Hohepriester durften keine Leichen anfassen. Leute mit Krankheiten durften nicht in das Gemeinschaftszelt kommen, sollten dem Essen fernbleiben, und jeder und alles, was sie berührt hatten, wurde desinfiziert und unter Quarantäne gestellt. Die Kontaktnachverfolgung war rigoros. „Jeder, den der Kranke berührt, ohne zuvor seine Hände mit Wasser abzuspülen, muss seine Kleider waschen, sich in Wasser baden und ist unrein bis zum Abend“, heißt es in Levitikus 15,11.
Querdenker bekamen die Leviten gelesen
War irgendein Querdenker der Meinung, sich nicht an diese Regeln zum Infektionsschutz halten zu müssen, dem wurden die Konsequenzen deutlich gemacht. „Der Herr wird dich schlagen mit Drüsen Ägyptens, mit Feigwarzen, mit Grind und Krätze, dass du nicht kannst heil werden“, heißt es im Deuteronomium, 28,27. Damals gab es noch keine Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit freundlichen Broschüren. In der Epidemiebekämpfung ist der Ton der Bibel so barsch, dass ein Sprichwort daraus entstanden ist: Ich lese dir die Leviten, sagen wir heute zu Aufmüpfigen.
Wer jammert, weil das Gesundheitsamt anruft und eine Quarantäne im warmen Wohnzimmer verordnet, dem sollte Levitikus 13,45–46 gelesen werden. Damals waren die Ansagen ein bisschen härter. „Der Aussätzige, der von diesem Übel betroffen ist, soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungepflegt lassen; er soll den Schnurrbart verhüllen und ausrufen: Unrein! Unrein! Solange das Übel besteht, bleibt er unrein; er ist unrein.
Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten.“ Das Verhüllen des Schnurrbarts klingt nach Alltagsmaske, und das Ausrufen von „Unrein!“ nach einer Corona-App ohne Datenschutz. Infizierte waren Sünder, Unreine, Ausgestoßene. Die Krankheit bedeutete nicht nur Isolation, sondern Arbeitslosigkeit, Armut und Obdachlosigkeit. Infektionen waren nicht nur körperliche Leiden, sondern eine seelische Katastrophe.
Dann kam Jesus von Nazareth. Der Bibelforscher John Dominic Crossan erzählt seine Geschichte anders als in manchem Kommunionsunterricht. Für Crossan war Jesus ein Revolutionär und ein Heiler, der die sozialen Folgen von Epidemien milderte. Crossan hat sich sein Leben lang mit Jesus beschäftigt. Er war Mönch im Serviten-Orden, Wissenschaftler am Päpstlichen Bibelinstitut und Professor in Chicago.
Für ihn führte Jesus eine Bewegung an, die zum gewaltlosen Widerstand gegen das Römische Imperium aufrief. Nicht Kaiser Augustus sollte der Sohn Gottes sein, wie es damals auf jeder Münze stand, sondern Jesus, der Sohn eines Tischlers aus Nazareth. Das war Hochverrat, den Christen aus Sicht der damaligen Römer bis heute begehen, wenn sie beten: „Dein Reich komme.“ Statt des Römischen Reiches versprach Jesus ein Königreich Gottes, in dem Gerechtigkeit herrscht.
In Galiläa, wo Jesus lebte, waren die Zeiten unruhig. Der von Rom eingesetzte Herrscher, Herodes Antipas, verlegte die Hauptstadt an den See Genezareth. Den wollten die Römer kommerzialisieren. Sie wollten den Fisch einsalzen und im ganzen Reich verkaufen. Die Fischer sollten in Fischfabriken arbeiten und nicht mehr auf eigene Rechnung. Das ganze wirtschaftliche Gefüge geriet aus dem Gleichgewicht und damit die sozialen Strukturen. Deshalb waren so viele von Jesu Jüngern ehemalige Fischer, der Fisch war ihr Symbol. Sie hatten ihre Jobs verloren. Sie waren arm. Am See gab es Malaria.
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