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#Was ist nur mit den Briten los?

„Was ist nur mit den Briten los?“

Das Staunen über die Ereignisse im Königreich ist groß, nicht nur im Ausland. Nach nur 44 Tagen im Amt stürzt der vierte Premierminister in sechs Jahren über eine atemberaubende politische Kehrtwende – um jetzt womöglich vom eigenen Vorgänger ersetzt zu werden, der seinerseits krachend gescheitert war. Ist Großbritannien zum neuen Italien geworden, wo Chaos lange Zeit Teil des politischen Alltags war und der Regierungschef im Schnitt alle 14 Monate wechselte? Oder ist da etwas spezifisch Britisches aus dem Ruder gelaufen? Neigt das Westminster-System womöglich stärker zu politischen Dramen und Volten als andere Regierungsmodelle? Ist es härter, ruchloser? Oder, im Gegenteil, verspielter? Unernster? Haben die Briten schlicht mehr Sinn für Unterhaltung?

Es ist schwer, das britische System zu erklären, und es gibt nur wenige, die es gerade noch mit Lust verteidigen. Der Fairness halber sollte trotzdem vermerkt werden, dass der inhaltliche Salto keine Insel-Spezialität ist. Auch im vorsichtigen Berlin kommt es vor, dass gerade erst verkündete Standpunkte über Nacht abgeräumt werden. Nach dem Unfall in Fukushima hob die Regierung die vereinbarte Laufzeitverlängerung auf und verabschiedete sich radikal von der Atomenergie. Und nur zwei Wochen lagen zwischen Angela Merkels Aussage, dass „wir das nicht schaffen, wenn wir jetzt sagen, ihr könnt alle kommen“, bis zu ihrem Satz: „Wir schaffen das.“ Beide Entscheidungen markierten eine heftige Kehrtwende und wurden von der Welt bestaunt.

Ein sportlicher Zugang zu Politik

Was die Briten von anderen westlichen Nationen unterscheidet, ist die Regelmäßigkeit, mit der abrupte Politikwechsel vorgenommen werden. Von einer frischen Regierung wird geradezu erwartet, dass sie etwas Neues ausprobiert. Das liegt zum einen am Mehrheitswahlrecht, welches die Bürger daran gewöhnt hat, dass in der Regel eine Partei allein an der Macht ist, die dann nach einiger Zeit wieder in der Opposition verschwindet. Einem neuen Premierminister wird das Recht zugesprochen, nicht nur Akzente zu setzen und die Politik graduell fortzuentwickeln, sondern mit ganz neuen Ansätzen zu experimentieren. Wenn sie scheitern, wird die Regierung eben abgewählt. Neu ist, dass das Recht auf Kursumkehr von einer Premierministerin beansprucht wurde, die nicht aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen war, sondern aus einer Art Mitgliederbefragung. In dieser schwachen Mandatierung liegt auch eine Wurzel ihres frühen Endes.

Aus Sicht Deutschlands, wo Politikveränderungen über Wochen in Koalitionsverhandlungen vereinbart und verschriftlicht werden, mutet es seltsam an, dass gesetzgeberische Initiativen wie auf dem Marktplatz verkündet oder abgeblasen werden. Die jährliche Parteitagsrede des Premierministers etwa gilt als missraten, wenn er nicht wenigstens ein paar parlamentarische Vorhaben aus dem Hut zaubert oder aber zurücknimmt („So I can announce today . . .“) Bezüge zum Wahlprogramm, das es auch in Großbritannien gibt, werden dabei nicht selten konstruiert.

Der sportlichere Zugang zur Politik hat viel mit der Erfahrung zu tun, dass die nationale Geschichte zwar manche Irrwege genommen hat, aber nie im Abgrund endete. Das unterscheidet die politische Kultur Großbritanniens wesentlich von der deutschen, die bis heute vom Trauma geprägt ist, dass Politik in Barbarei münden kann. In Deutschland schwingt mehr Angst vor der folgenschweren Fehlentscheidung mit. Allerdings war die deutsche Art, Politik zu machen, auch schon vor dem 20. Jahrhundert ernster und nüchterner als die englische. Heinrich Heine hob die Politiker auf der Insel mit ihrem „unbefangenen Witz“ schon 1827 von deren deutschen Kollegen ab: „Bei den ernsthaftesten Debatten, wo das Leben von Tausenden und das Heil ganzer Länder auf dem Spiele steht, kommt doch keiner von ihnen auf den Einfall, ein deutsch-steifes Landständegesicht zu schneiden“.

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