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#Eigentümlich inhaltsleer

Eigentümlich inhaltsleer

Vor kurzem hat der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher dem Konservatismus die Diagnose seiner politischen Erschöpfung gestellt. Zwar war die Union, seit 1982 Helmut Kohl zum Kanzler gewählt wurde und eine „geistig-moralische“ Wende ankündigte, nur in sieben von neununddreißig Jahren nicht an der Regierung. Doch gerade dadurch sei der programmatische Vorrat, der durch den Begriff „konservativ“ bezeichnet werden könnte, vollständig aufgezehrt worden.

Jürgen Kaube

Das ist unter den Umständen moderner Politik nicht verwunderlich. Sie muss viel zu viele Entscheidungen treffen, um diese noch als Verwirklichung eines Programms darstellen zu können. Es sind Entscheidungen je nach Lage der Welt oder der Umfragen, angesichts anstehender Wahlen und im Blick auf rechtliche Möglichkeiten. Es sind überdies Entscheidungen, die untereinander oft kaum verknüpft sind.

Und es sind Entscheidungen, die viele Fragen danach aufwerfen, was denn erhalten werden soll: die Landschaft oder die Landwirtschaft, das Gymnasium oder die Hauptschule, die Sonntagsruhe oder das Geschäftsleben? Für alles finden sich Interessenten. Man könnte kürzer auch sagen: Ein Programm ist eine schöne Sache, doch Wiederwahl verlockt am Ende mehr. Zur Veredelung dieser Perspektive wird mitunter der Begriff „Volkspartei“ herangezogen, denn das Volk ist es ja, das die Umfrageschwankungen hervorbringt und das die, programmatisch gesehen, widersprüchlichsten Entscheidungen honoriert.

Hier bin ich für mehr Staat, dort für weniger

Konsequenz und Konsistenz werden darum viel gelobt, praktisch wird aber ständig gegen sie verstoßen, und auch dafür stehen „Werte“ bereit: Lernbereitschaft, sich verändernde Umwelten, Sachzwang. So hat Angela Merkel einmal gesprächsweise gefragt, weshalb sie sich denn durch das eigene Engagement in der Regulierung von Banken in der Frage des nationalen Arbeitsrechts gebunden sehen soll. Sollte wohl heißen: Hier bin ich für mehr Staat, dort für weniger, wo ist das Problem?

Entsprechend wird eine solche Politik der Union mal neoliberal, mal etatistisch, mal als Linksruck und mal als Konservierung bestehender Ungleichheiten bezeichnet. Oder als Pragmatismus, der auf all diese Etiketten pfeift. Der Begriff des Konservatismus, den jüngst der Mainzer Historiker Andreas Rödder vorgeschlagen hat, um ihn vom unbedingten Dafür- oder Dagegensein nicht nur abzugrenzen, sondern geradezu durch diese Abwehr von Rigorismen zu definieren, liegt auf dieser Linie; mit der Pointe, dass Rödder weit vorne in der Reihe der Kritiker des Pragmatismus von Angela Merkel steht. Ganz scheint der Pragmatismus also die konservative Position doch nicht zu erfüllen.

Am Disput über die Frage, wer Kanzlerkandidat der Union werden soll, zeigt sich das so entstehende Dilemma: Es treten zwei Politiker an, ohne dass ein einziges Wort über ihre programmatischen Ausrichtungen fällt. Dass in dem einen Bundesland ihrer Herkunft zuletzt der Kohle, in dem anderen den Bienen eine herausgehobene Stellung zukam, wird man nicht mit Konservatismen unterschiedlicher Art verbinden wollen. Es macht weder aus Laschet einen Bewahrer der Industriestruktur noch aus Söder einen der Natur. Wer würde zumal bei Letzterem viel darauf wetten, dass je nach Lage und allgemeinem Stimmungsbild nicht auch wieder andere Präferenzen hervorträten? Armin Laschet wiederum hat auf seine Weise in der Pandemie Haltungsschwankungen gezeigt, die sich schwerlich als Lernfähigkeit interpretieren lassen, bis hin zur paradoxen Formel „Brücken-Lockdown“. Söders Vergleich seiner selbst mit dem Torschützenkönig des FC Bayern wirft wiederum die Frage nach den Toren auf, die er bislang geschossen hat.

Hauptsache, wir kommen wieder an die Macht

Damit kein Missverständnis aufkommt: Das ist weder als Kritik gemeint noch als eine Prognose zukünftig schwankenden oder gar opportunistischen Regierungshandelns, sofern es zu einer Kanzlerschaft der Union überhaupt kommt. Es ist nur ein Versuch, die eigentümlich inhaltsleere Debatte über die Spitzenentscheidung in der Union zu erklären. Sie scheint nämlich inhaltsleer weniger, weil sich alle über die Regierungsabsichten im Grunde einig sind und das Selbstverständliche darum gar nicht diskutiert werden muss. Vielmehr wird sie nicht geführt, weil der Text, den beide Kandidaten und ihre Unterstützer anzubieten hätten, viel zu kurz und viel zu allgemein ist, als dass er eine Diskussion ermöglichte. Oder anders formuliert: Was man durch ein Kreuz bei der Union wählen würde, ist derzeit so unklar, dass es zwangsläufig zu großen Spielräumen in der Frage kommt, wer diese Unklarheiten demnächst als Kanzlerkandidat vertreten soll. Hauptsache, wir kommen wieder an die Macht, sagt das pragmatische Funktionärsbewusstsein, alles Weitere findet sich dann schon.

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