Nachrichten

#Ein Abgang und eine Drohung

Ein Abgang und eine Drohung

Benjamin Netanjahu ist nicht mehr Ministerpräsident, Naftali Bennett neuer Regierungschef von Israel. Mit einer äußerst knappen Mehrheit stimmten sechzig der insgesamt 120 Abgeordneten für die neue Regierung, 59 dagegen, ein Parlamentarier enthielt sich. Als Bennett vereidigt wurde, wollte Netanjahu gleich das Plenum verlassen, drehte sich aber noch einmal um, um seinem Nachfolger die Hand zu schütteln und kurz den Platz des Oppositionsführers einzunehmen. Allem Anschein nach wird es am Montag auch keine öffentliche Zeremonie der Amtsübergabe geben. Wenn es nach Netanjahu geht, dann kehrt er ohnehin bald wieder zurück.

Jochen Stahnke

Politischer Korrespondent für Israel, die Palästinensergebiete und Jordanien mit Sitz in Tel Aviv.

Von einer würdevollen Amtsübergabe hatte schon die Sitzung in der Knesset vor der Vereidigung der neuen Regierung kurz zuvor am Sonntag wenig gehabt. Bennetts auf zehn Minuten angesetzte Rede vor der Vertrauensabstimmung über den neuen Ministerpräsidenten wurde ein von Zwischenrufen unterbrochenes Spießrutenlaufen. Von „Betrug“, „Schande“ und „Lügen“ war die Rede der Abgeordneten aus dem Likud und den ultraorthodoxen Listen, mehrere von ihnen wurden des Saals verwiesen. Und auch der nach zwölf aufeinanderfolgenden Jahren als Regierungschef aus dem Amt scheidende Benjamin Netanjahu nahm sich keine Zeit für gute Wünsche an seinen Nachfolger Bennett, dem dreizehnten Ministerpräsidenten von Israel.

Stattdessen ging Netanjahu vorerst zum letzten Mal im Amt noch einmal auf Konfrontation. Die Iraner würden sich schon auf Bennett freuen, sagte er. Denn Bennett habe nicht das Zeug, gegen die Vereinigten Staaten aufzustehen, wenn es sein müsse. Das Bestreben des amerikanischen Präsidenten Joe Biden, einen neuen Atomvertrag mit Iran zu erreichen, verglich Netanjahu damit, wie es „Franklin Delano Roosevelt zum Höhepunkt des Holocaust unterlassen hat, die Züge und die Gaskammern zu bombardieren, was unser Volk hätte retten können“. Positiv ausgedrückt klingt so jemand, der weiterkämpfen will. Negativ gesehen, ist ihm dabei auch das amerikanisch-israelische Verhältnis Manövriermasse ohne Skrupel.

Schon vor der Vertrauensabstimmung in der Knesset kündigte Netanjahu seine Rückkehr ins Amt an. Jeden Tag werde er in der Opposition „kämpfen, um diese gefährliche linke Regierung zu stürzen“, rief er. Und das werde „rascher geschehen, als sie denken“.

Lapid verzichtet auf Rede 

Einerseits klang das wie eine Drohung. Der wegen Korruption angeklagte 71 Jahre alte Netanjahu führt die größte Partei in der Knesset, den Likud, damit auch in Zukunft erst einmal weiter an. Andererseits könnte diese Drohung auch die disparate Achtparteienkoalition unter Bennett sowie dem in Rotation zu ihm „alternierenden Ministerpräsidenten“ Jair Lapid zusammenhalten. Lapid ist die treibende Kraft hinter der neuen Koalition. Er verzichtete auf seine eigene Rede, weil er, wie er sagte, sich vor den Augen seiner 86 Jahre alten Mutter im Plenum schäme für Netanjahu und das, wie der Tag in der Knesset abgelaufen sei.

Zu den von Lapid zusammengebrachten acht Parteien gehören Rechte, Zentristen und Linksliberale sowie erstmals auch eine islamisch-konservative Partei. Sie eint die Abneigung gegen Netanjahu und dessen spalterischen Führungsstil, der es in den vergangenen zwei Jahren trotz vierer Parlamentswahlen nicht geschafft hat, eine eigene Regierung zu bilden.

Ideologisch aber stehen ihm einige der neuen Koalitionäre sogar nah. Denn die neue Regierung unter Bennett ist gespickt mit Personen, die bis vor kurzem nicht nur selbst im Likud gewesen waren, sondern von denen ein halbes Dutzend auch direkt für Netanjahu gearbeitet haben, etwa als Büroleiter, Kommunikationsdirektoren oder politische Berater.

Die Parteien, die der Koalitionsvertrag dagegen dem Block des bisherigen Oppositionsführers Jair Lapid zurechnet, haben zum Teil vollkommen andere Vorstellungen etwa von der Siedlungspolitik im Westjordanland oder davon, wie weit die Befugnisse des Obersten Gerichts reichen. Sowohl Bennett als auch Lapid haben jeweils ein Vetorecht über Regierungsentscheidungen vereinbart. So erwartet zunächst kaum jemand wegweisende strategische Veränderungen in Israel.

Erster arabischstämmiger Minister Israels

Historisch indes ist die Ernennung von Esawi Frej zum ersten arabischstämmigen Minister Israels: Frej gehört zur linksliberalen Meretz-Partei und übernimmt das Ministerium für Regionale Kooperation. Und mit der Partei Raam werden auch vier Abgeordnete einer arabisch-islamistischen Liste Teil der Regierung. Bennett sprach von einem „neuen Kapitel“ in den Beziehungen Israels zu seinen arabisch-palästinensischen Bürgern. Ausdrücklich dankte er Netanjahu dafür, dass dieses Bündnis zustande kam. Denn es war zuerst der scheidende Regierungschef gewesen, der dem Raam-Vorsitzenden Mansour Abbas ein Angebot über eine politische Zusammenarbeit in den Koalitionsverhandlungen gemacht hatte. Somit kann der Likud die Koalition von Bennett und Abbas nicht glaubwürdig kritisieren.

Und noch etwas haben sich die neuen Koalitionäre von Netanjahu abgeschaut. Die Koalitionspartner übernehmen das Grundprinzip der Rotation, das Netanjahu vergangenes Jahr für seine nur kurz währende Regierung mit dem „alternierenden Ministerpräsidenten“ Benny Gantz in der Form erst eingeführt hatte. Bennett wird dem neuen Koalitionsvertrag zufolge jetzt zwei Jahre regieren und im August 2023 als Ministerpräsident von Jair Lapid abgelöst werden, der zunächst Außenminister wird. Die Rotation zieht sich außerdem tief in die aus 28 Ministern bestehende Koalition. Der Vorsitzende der rechten Partei Tikwa Hadasha beispielsweise, Gideon Saar, wird Justizminister, bis Lapid Regierungschef wird, woraufhin Saar dann das Amt des Außenministers übernehmen soll. Netanjahu dürfte einiges versuchen, dass es soweit nicht kommt. 

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!