#Ein Dammbruch als Symptom der Vernachlässigung
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Es ist nicht lange her, da führte das Wadi, das Flussbett in der ostlibyschen Hafenstadt Darna, kaum Wasser. Jetzt durchzieht Darna eine Schneise der Verwüstung, gerissen von einer meterhohen schlammbraunen Flutwelle, die Brücken, ganze Stadtviertel und ihre Einwohner mitriss. Auch Tage später ist das Unheil schwer zu fassen. Tausende Familien verloren ihre Häuser, zuletzt war von mindestens 11.000 Todesopfern die Rede. Nach Schätzungen könnten es bis zu 20.000 sein. Noch immer werden Leichname angespült und geborgen. Tausende müssen noch bestattet werden. Die Behörden fürchten, das verseuchte Wasser könne eine Epidemie verursachen.
Die zwei Dammbrüche waren von weitaus zerstörerischerer Kraft als der Wirbelsturm „Daniel“ und die extremen Regenfälle, die Libyen am Sonntag erfasst hatten. Die Anlagen lagen südlich der Stadt, eine davon nur etwa einen Kilometer von Darna entfernt. Als dieser Damm zusammenbrach, rollte die Flutwelle nahezu ungebremst in die Stadt.
Die Dämme waren in den Siebzigerjahren von einem jugoslawischen Unternehmen gebaut worden. Schon vor Jahren wurde gewarnt, dass sie Darna nicht mehr ausreichend vor Unwettern schützen würden. In einer Studie aus dem November hieß es, die Dämme müssten dringend gewartet werden. Der Stellvertretende Verwaltungschef der Stadt erklärte nach dem Unglück gegenüber dem Sender Al Jazeera, es habe sich seit mehr als zwanzig Jahren niemand mehr angemessen um die Dämme gekümmert. Ein Arzt aus Darna berichtet am Telefon, ein Damm habe schon Risse gehabt. Es ist kaum abschließend zu klären, ob eine ordnungsgemäße Wartung die Tragödie hätte abwenden können. Die UN-Weltorganisation für Meteorologie kritisierte, die Mehrzahl der Toten hätte verhindert werden können, hätte es ein funktionierendes Warnsystem und besseres Krisenmanagement gegeben.
Misstrauen gegen die Menschen in Darna
Für viele Menschen im Katastrophengebiet ist der Dammbruch von Darna ein extremes Symptom jahrzehntelanger Vernachlässigung. Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi, der seine Macht vor allem auf Stämme im Westen stützte, investierte kaum in den Osten, wo 2011 auch der Aufstand gegen ihn ausbrach. Nach Gaddafis Sturz glitt Libyen ins Chaos ab. In Darna reklamierten zwischenzeitlich radikale Islamisten unter dem Banner des IS die Macht für sich. Heute hat Libyen zwei Regierungen: die Regierung der Nationalen Einheit im Westen, in der Hauptstadt Tripolis, und eine im Osten, die mit harter Hand vom abtrünnigen Militärführer Chalifa Haftar geführt wird. Auch Haftar brachte den Bewohnern von Darna, das seine Truppen 2019 unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung erobert hatten, Misstrauen entgegen.
„Die Lage ist auch jetzt noch katastrophal, es ist eine Tragödie“, sagt der Arzt, der in der zerstörten und überschwemmten Stadt ausharrt. Darna sei eine geteilte Stadt, weitgehend abgeschnitten von der Außenwelt. Inzwischen seien wenigstens die ersten Rettungsteams und Hilfslieferungen eingetroffen. Es herrsche aber noch immer Mangel an so ziemlich allem.
Schon das schiere Ausmaß des Unheils dürfte den von Machtkämpfen und Korruption zersetzten Staat überfordern. Doch darüber hinaus müssten jetzt zwei Regierungen eng zusammenarbeiten, die gewohnt sind, gegeneinander in Stellung zu gehen. Das gegenseitige Misstrauen erschwert die Rettungsarbeiten erheblich. Ausländische Helfer bekommen das weniger zu spüren als die Libyer selbst. So mischten sich in die Hilferufe aus dem Katastrophengebiet auch schnell Kritik, dass Machtkämpfe und Haftars paranoider Sicherheitsapparat die Hilfe behindern. In der Bevölkerung herrscht Wut auf die Mächtigen und zugleich landesweite Solidarität und Hilfsbereitschaft. Wer allerdings glaubt, diese werde womöglich auf die um Macht und Geld kämpfenden Warlords und Politiker in Ost und West abfärben, könnte bitter enttäuscht werden.
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