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#Ein Einzeltäter ist kein Einzelfall

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Ein Einzeltäter ist kein Einzelfall

Ist die deutsche Sprache eigentlich die einzige, für die jedes Jahr das Unwort des Jahres gekürt wird? Liegt es an den Komposita, dass das Deutsche eine Reihe monströser Kons­trukte hervorbringt wie „Ankerzen­trum“, „Corona-Diktatur“, „Sozialtourismus“, oder ist es das reaktionäre Gespenst, das durch die Sprache spukt?

Ich möchte den Unwortungetümen ein schlichtes hinzufügen: lernen. Lernen ist so ein Modewort geworden. Aus allem soll man heute etwas lernen, über die eigenen Privilegien, aus gescheiterten Ehen und Naturkatastrophen. Lernen ist ja erst mal nichts Schlechtes, wenn man es als Ausbessern von Mängeln begreift. Demokratien etwa sind keine perfekten Systeme, sondern müssen sich immer weiterentwickeln, um Schritt zu halten mit gesellschaftlichem Wandel, aber auch um sich vor Bedrohungen zu schützen. Das Lernen darf aber nicht zu einer Floskel verkommen, mit der man ein Problem der Gesellschaft und Politik mit Rassismus, Misogynie oder Antisemitismus auf die individuelle Ebene abwälzt. Kosmetik reicht nicht, es bedarf konkreter Schritte.

Es ist nicht unmöglich, sie zu stoppen

Eine ähnliche Entpolitisierung findet auch beim Sprechen über Terroranschläge statt. Seit einiger Zeit haben wir es vermehrt mit Einzeltätern zu tun. Das Wort „Einzeltäter“ ist erst mal nicht falsch: Ein Einzeltäter ist jemand, der einen Anschlag allein plant und durchführt. Nazis nennen das „führerloser Widerstand“, Islamisten setzen auf diese Strategie, und Terrororganisationen wie der IS haben dazu aufgefordert, Anschläge mit dem bloßen Messer oder mit einem Lkw zu begehen. Das hat auch damit zu tun, dass die sicherheitspolitischen Vorkehrungen vergangener Jahre es schwieriger machen, große Anschläge mit vielen Mitwissern zu realisieren. Nach 9/11 wurden Lehren gezogen, allein am Flughafen, bei den langen Sicherheitskontrollen, merken wir das. Es ist aber auch nicht unmöglich, Einzeltäter zu stoppen. Geschätzte 50 bis 80 Prozent von ihnen, so der Terrorismusexperte Peter Neumann, kommunizieren zuvor ihre Absichten. Der Attentäter vom Breitscheidplatz 2016 war den Behörden bekannt, ebenso der Attentäter 2020 in Dresden. Einzeltäter können einer Terrorgruppe angehören, oder sie haben sich von einer inspirieren oder ideologisieren lassen. Sieht man genau hin, sind die meisten Einzeltäter nicht wirklich allein.

Ronya Othmann


Ronya Othmann
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Bild: Kat Menschik

Zum Unwort wird „Einzeltäter“ aber, wenn es im Sinne von „Einzelfall“ verwendet wird, denn das ist schlichtweg falsch. Im Zusammenhang mit „psychisch krank“, irreführend. „Psychisch krank“ ist nicht gleichbedeutend mit „schuldunfähig“. „Psychisch krank“ bedeutet aber auch nicht „potentieller Terrorist“. Spricht man also nur von „Einzeltäter“ und „psychisch krank“, ist es verharmlosend und unterschlägt den politischen Kern der Tat.

Der Täter in Würzburg rief „Allahu akbar“. Bei der Vernehmung sprach er von seinem Beitrag zum Dschihad. In seiner Unterkunft soll vermeintlich islamistisches Propagandamaterial gefunden worden sein. Das alles spricht für ein islamistisches Attentat. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen, die Schuldfähigkeit nicht abschließend geprüft. Wie schon bei früheren Terroranschlägen plärren jetzt wieder Rechte das Internet voll – von wegen alle abschieben, „Messermigrant“ (auch so ein Unwort) und Merkel sei schuld – , während einige Linke tunlichst vermeiden, über Islamismus auch nur nachzudenken. Stattdessen sprechen sie lieber über die toxische Männlichkeit des Täters, die ja durchaus eine Rolle gespielt haben könnte. Sie warnen zu Recht vor einer Vereinnahmung der Tat durch Rechte, geben sich aber größte Mühe, ein islamistisches Tatmotiv zu relativieren. Es herrscht betretenes Schweigen, ganz so, als wären solche Anschläge einfach eine Laune der Natur und die Opfer bloße Kollateralschäden.

Die Grenze verläuft nicht zwischen Identitäten oder Kulturen, zwischen weißen und nichtweißen Menschen, nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und nicht zwischen Flüchtlingen und Deutschen. Sie verläuft zwischen menschenfeindlichen Ideologien und zwischen freiheitlich-demokratischen Werten. Letztere werden von Rechten genauso abgelehnt wie von Islamisten. Wenn wir über Würzburg reden, müssen wir auch über die Menschen (viele von ihnen mit Migrationsgeschichte) sprechen, die sich dem Täter entgegenstellten. Etwa Chia Rabiei, ein Kurde aus Iran, der seit 17 Monaten in Deutschland ist und mit seinem Rucksack den Täter in Schach hielt. Ein Rucksack als Mittel gegen den Terror, Zivilgesellschaft gegen Islamismus. Rechte hingegen haben kein Mittel gegen Islamismus, obwohl sie am meisten Politik mit ihm machen. Sie kultu­ralisieren und rassifizieren ihn und verkennen, was er ist: eine antimoderne, globale menschenfeindliche Ideologie.

Der Islamismus passt sich den Umständen an. Auch Corona wird in die Ideologie eingespeist. Der IS hat dazu geraten, jetzt, da die Weltgemeinschaft mit einer Pandemie kämpft und der Kampf gegen den Terror in den Hintergrund gerückt ist, zuzuschlagen. Der IS hat zwar Territorien verloren, doch er funktioniert wie ein Franchiseunternehmen: Jeder, der will, kann eine Ich-AG gründen, Ideologie, Strategie und Logo stellt der IS. Abschieben bringt da nichts und wegschauen schon gar nicht.

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