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#Ein Hauptdarsteller seiner selbst

Ein Hauptdarsteller seiner selbst

Einmal, hat Herbert Achternbusch geschrieben, habe er nach der Filmvorführung seinen Kinosessel genau untersucht; er sei überzeugt davon gewesen, dass sein blutendes Herz darauf einen großen Fleck hinterlassen habe. Und auch wenn man sich gerade nicht sicher ist, ob es in diesem Achternbusch-Text um John Ford, um Akira Kurosawa, Otto Preminger oder Max Ophüls ging: Sicher ist jedenfalls, dass solche Namen, die allergrößten, den Bezugsrahmen für Achternbuschs Kino formten.

Wer ihn belächelt, als lustigen (und bestenfalls listigen) Dilettanten, hat nichts verstanden von Herbert Achternbusch. Was der aber, andererseits, schon deshalb nicht übelnehmen durfte, weil es er war, der einst gesagt hat, dass heutzutage jeder von allen verstanden werden wolle. Nur er nicht. Ihm reiche es völlig, wenn ihn niemand verstehe.

Sein Filmen war eben doch bestimmt von der Einsicht, dass, wenn man keine ganz großen, teuren Film machen kann, man eben ganz kleine, billige machen musste. Alles dazwischen war spießig oder Fernsehen. Und so ging, als er anfing mit dem Film „Bierkampf“, Achternbusch als Polizist verkleidet übers Oktoberfest und provozierte die Leute. Und die Kamera, ohne jede Drehgenehmigung, schaute dabei zu. Eindrucksvollere Massenszenen als diesen Bierzeltwahnsinn hat auch Bernd Eichinger selten auf die Leinwand gebracht. Und wenn die Kamera von einem Dach hinunter auf den Marienplatz schaute, brauchte der Film nur einen kleinen narrativen Gesamtzusammenhang zu behaupten. Und halb München wurde zur Statisterie in Achternbuschs Low-budget-Monumentalkino.

Achterbusch kratzte nicht am Lack der barocken Fassaden

Früher sah man ihn manchmal im Weißen Bräuhaus im Tal bei einem Hefeweißbier sitzen. Und das letzte, was er in solchen Momenten gebrauchen konnte, wären Fans gewesen, Cinéphilie, die ihn auf seine Filme angesprochen hätten. Achternbusch hörte den Leuten zu, wie sie immer größeren Unsinn redeten – er war, gewissermaßen, ein Mack Sennett oder Buster Keaton des bayerischen Films: Zu Stummfilmzeiten hatte man die größten Spinner auf den Straßen eingesammelt und zu Drehbuchsitzungen eingeladen, damit nur ja keine narrative Logik die anarchistischen Gags verharmlose.

Ja, wenn man lange keinen Film von ihm mehr gesehen hat, verschmelzen die Erinnerungen zum großen Achternbusch-Gesamtwerk – einem Film, den man auf jeden Fall falsch verstünde, wenn man den Humor darin für Kleinkunst oder Kabarett hielte und den ganzen Gestus für irgendwie kritische Folklore. Nein, Achterbusch kratzte nicht am Lack der barocken Fassaden; er suggerierte, dass man, wenn man nur lange und genau genug hinschaue, die bösen Geister der Geschichte, welche die Münchner und die Bayern so gern verdrängen, schon sichtbar würden. 1938 geboren, hat er als Kind das totale Verderben jener Leute noch erlebt, den Untergang jener Partei, die als regionale Kraft in der Hauptstadt der Bewegung groß geworden war. Was allein ja schon Grund genug für ihn war, alles Volkstümliche zu verabscheuen.

Und zugleich liebte er eben die Möglichkeiten und vor allem die Unmöglichkeiten der bayerischen Sprache, diese Uneigentlichkeit, die sich nicht nur in Kaskaden von Konjunktiven offenbart, sondern in der grundsätzlichen Weigerung der Wörter und Sätze, sich wie Etiketten an die Sachverhalte einfach heften zu lassen.

2002 hörte er auf zu filmen

Dieses Land habe ihn kaputt gemacht, und er werde so lange bleiben, bis man dem Land das anmerke, hieß eines der ernstesten Motti Achternbuschs – und dann suchte sich sein Kino immer wieder Schauplätze im ewigen Eis, von Grönland beispielsweise, wo er sein blutendes Herz zu kühlen hoffte.

Herbert Achternbusch war meist Hauptdarsteller seiner selbst, eine Figur, mit der man als Zuschauer nicht so schnell fertig wurde. Denn in einem Moment wirkte er weise, alt, wie der Prophet einer unverständlich gewordenen Religion. Und in der nächsten Szene war es so albern, dass es fast schon wehtat, über seine Scherze zu lachen. Und manchmal wollte man sich die Ohren zuhalten, in der Hoffnung, dass Achternbuschs dauerndes Selbstgespräch, das um deutsche Schuld und deren Konsequenzen kreiste, vielleicht klarer hören könnte.

Im Jahr 2002 hat er aufgehört zu filmen. Da war selbst die CSU, die sich zwanzig Jahre zuvor noch so empört hatte über seinen blasphemischen Jesus-Film „Das Gespenst“, kein Gegner mehr. Im Hauptberuf war er ohnehin ein Maler; tausend Bilder hat er gemalt, darunter ziemlich viele gute. Und tausende Seiten hat er beschrieben, mit Prosa und Theaterstücken, die dann keiner mehr spielte, obwohl doch in den Achtzigern und Neunzigern, als sie herauskamen, alle ganz beeindruckt waren.

Ach, Herbert Achternbusch ist gestorben. Sie werden in Bayern schon spüren, wie sehr er fehlt.

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